Es ist irgendwie, als würde man sich Videos vom englischen Fußball aus den 80ern anschauen. Die Bälle fliegen nur so über das Mittelfeld, das Spiel ist geprägt von hitzigen Zweikämpfen am Rande der sportlichen Legalität. HEBC-Heimspiele haben eben ihren eigenen Charakter. Wer spielerische Finessen oder traumhafte Kombinationen von der gastgebenden Mannschaft verlangt, wird wohl nie die Partien auf dem umgedrehten Rasen in Eimsbüttel genießen können. Wer aber auf Leidenschaft, bedingungslosen Einsatz, Kampfeslust und etwas (mehr) Hektik steht, sollte sich jeden zweiten Sonntag eine HEBC-Eintrittskarte kaufen – er wird nur sehr selten enttäuscht werden.
Aber selbst für HEBC-Maßstäbe war die Begegnung gegen den SC Condor sehr emotional und eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Als moralischer Sieger durften sich am Ende die Raubvögel fühlen. Über eine Stunde musste man in Unterzahl agieren und auch ein dreimaliger Rückstand bewegte die Reimers-Truppe nicht zur Aufgabe. Ganz im Gegenteil, sogar das späte 3:2 durch Michael Splett kitzelte die letzten Kraftreserven aus den SC-Protagonisten heraus. Mit dem Schlusspfiff glich Neuzugang Marcus Haß zum überaus verdienten Endstand aus.
Condor hatte in der Anfangsphase seine spielerischen Vorteile in die Waagschale werfen können und bestimmte die ersten Minuten. Meusers Chance touchierte die Latte (5.), Müllers Freistoß entlockte Aslan eine Glanzparade (9.). Doch von Minute zu Minute wurde die Partie von giftigen Duellen geprägt, an denen meistens HEBC-Verteidiger Michael Adekunle beteiligt war. Diverse Auseinandersetzungen körperlicher und verbaler Art mit Gegenspieler Bülent Yazici heizte die Atmosphäre auf. Meuser gesellte sich öfters dazu, sodass Condors rechte Seite mit der Zeit zum Pulverfass geriet. Trainer Reimers versuchte die Situation durch die Auswechslung vom rotgefährdeten Yazici zu entschärfen, was aber nur ansatzweise gelang. Mit Meuser rückte nämlich der nächste Übermotivierte in den Angriff und traf auf Adekunle, der mehrmals mit diversen Rollen und schauspielerischen Einlagen bei normalen Fouls den Gegner provoziert hatte. Nach einem weiteren Adekunle-Foul an Meuser, revanchierte sich der Geschädigte mit einem Schlag an den Kopf. Schiedsrichter Jäger blieb gar nichts anderes übrig, als Meuser des Feldes zu verweisen.
Zu diesem Zeitpunkt sah es gar nicht gut aus für die Raubvögel. Kurz vor dem Platzverweis hatte Daniel Brückner nach einem Solo-Spaziergang durch die gegnerische Hälfte mit einem Flachschuss die Führung erzielen können. Rückstand und Unterzahl innerhalb von fünf Minuten, nicht wenige Mannschaften zerbrechen daran. Für Condor traf das aber nicht zu. Aykurts Kopfball nach einem Ehlert-Freistoß brachte den Ausgleich, der bis zum Pausentee Bestand hatte, da Brückner den Ball nicht richtig aus kurzer Distanz traf und Ollik gerade noch ans Leder kam (39.).
Die Gäste kamen besser aus der Kabine. Nach Naycis Warnschuss (47.) übernahm der SC das Kommando. Ein Freistoß von Robaqsh (55.) und ein Kopfball von Aykurt (56.) hätten beinahe für das 2:1 gesorgt, welches allerdings auf der anderen Seite fallen sollte. Der ansonsten gute Aykurt lief relativ unbedarft Glaser im Strafraum um und HEBC kam durch den verwandelten Elfmeter von Petrobella zur erneuten Führung. Condor ließ sich nicht entmutigen. Vorne lief sich mit Kruppa die einzig verbliebene Spitze, Goalgetter Pinar saß verletzungsbedingt als Getränketräger auf der Bank, die Lunge aus dem Leib und im Mittelfeld waren Ehlert, Müller und Haß den Kontrahenten überlegen. Folgerichtig musste Aslan im HEBC-Kasten erneut hinter sich greifen. Es wäre aber auch schade gewesen, wenn man nicht gerade Anhänger der Platzherrn ist, wenn der Keeper den fulminanten 30-Meter-Volleyschuss aus dem Winkel gekratzt hätte. So konnte Aslan gegen das Geschoss, Marke Tor des Monats, von Liebetanz nichts ausrichten. Die Gelben machten trotz Unterzahl weiter Dampf und suchten ihr Heil im Angriff. Robaqsh (70.) und Müller (73.) hatten sogar das durchaus verdiente 3:2 auf dem Fuss. Die Platzherrn kämpften zwar aufopferungsvoll, doch die Überzahlsituation wurde nie augenscheinlich. Einzig Brückner ließ technische Brillanz ab und zu aufblitzen. Das Mittelfeld und der Sturm konnten sich ansonsten eher selten offensiv in Szene setzen. Nur einmal blitzte das durchaus vorhandene Offensivpotenzial auf. Eine präzise Flanke von Nayci köpfte Splett (viertes Saisontor) schulmäßig ins Netz. Das musste doch für den Aufsteiger zum zweiten Dreier im dritten Heimspiel reichen, auch wenn man nicht durchweg überzeugen konnte. Doch weit gefehlt. Condor warf alles nach vorne, sogar Keeper Ollik wollte im Angriff mithelfen. Brauchte er aber nicht, da Haß nach einer Ecke und einer Kopfballverlängerung von Witt zur Stelle war. Mehr als verdient für die Gäste, die zwischenzeitlich dem Sieg näher waren. Aber auch für HEBC war das Unentschieden unglücklich, denn Gegentore in der letzten Minute schmerzen am meisten.
Stimmen:
Speedy Vamvakidis (Trainer HEBC): Wenn man dreimal führt, muss man gewinnen. Wenn man drei Tore schießt auf eigenem Platz, muss man gewinnen. Man kann mit dem Unentschieden nicht glücklich sein. Man hatte jedoch zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass wir uns in Überzahl befanden. Das zwischenzeitliche 3:2 war eher glücklich für uns, trotzdem muss man dann den Sieg nach Hause fahren. Doch wir haben uns sehr dumm hinten angestellt. Es wirkte fast so, als hätte unsere Hintermannschaft den Haß, nachdem er schon die erste Chance zum 3:3 vergab, nochmals gebeten, doch bitte den Ausgleich zu markieren. Bei uns fehlte die Zuordung. Das war Dummheit.
Wolfgang Reimers (Trainer SC Condor): Ich habe meiner Mannschaft die Woche über gesagt, dass bei HEBC anders Fußball gespielt wird. Wir haben die Anfangsphase bestimmt, sind trotzdem in Rückstand geraten. Danach sind einige Entscheidungen gefällt worden, die zumindest diskutabel waren. Mein Team darf sich nach dem 3:3 als moralischer Sieger freuen, obwohl mir der Punkt eigentlich fast zu wenig ist. Wenn der Ausgleich aber nicht gefallen wäre, hätte ich annehmen müssen, dass der Fußballgott heute nicht anwesend gewesen wäre.
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