Schlüsselszene 27. Minute: Eigentlich schien der Flensburger Angriff bereits abgeschlossen, einige der Angreifer wandten sich bereits ab, um innerlich den zu erwartenden Gegenzug der gastgebenden Pinneberger zu visualisieren. Auch Schiedsrichter Gerd Aßmann deutete per Handzeichen Torabstoß an, hatte den Ball die Auslinie der Hausherren überschreiten gesehen. Doch dann wurde es plötzlich und unerwartet noch ein mal hektisch. Aßmann kramte in seiner Gesäßtasche, zum Vorschein kam die leuchtend rote Farbe, die üblicherweise einen Feldverweis markiert. Und der galt Pinnebergs Christian Förster, der sich vor Wut und Enttäuschung seinen blau-roten Dress übers Haupt zog, ganz nach dem Motto: Nicht mehr hören, nichts mehr sehen. Was war passiert, dass sich der VfLer zu derartigen Gefühlsregungen veranlasst sah? Sein Trainer Thomas Bliemeister hatte die ominöse Szene mit Christian Förster und Marc Peetz in der Hauptrolle wie folgt beobachtet: „Christian Förster wurde festgehalten und hat versucht, sich loszureißen“, so der 47-Jährige zu seiner Betrachtungsweise, die er von seinem sich in der Nähe des Tatortes befindlichen Beobachtungsposten geschärft hatte. Und weiter: „Das ist eben Auslegungssache. Der eine legt das als Tätlichkeit aus, der andere nur als Losreißen.“ Kaum Protest also von Seiten der Hausherren, auch die Mannen von Flensburg 08 hatten aus nicht ganz subjektiven Interessen wohl wenig gegen ein gepflegtes Überzahlspiel einzuwenden. Über eine Stunde mit einem Spieler mehr auf dem Platz, das sollte doch hinhauen mit einem Auswärtserfolg.
Dass man zu diesem Zeitpunkt bereits mit 0:1 durch einen Kopfball von Frank Rückert nach Flanke Eike Pannen ins Hintertreffen gelangt war, erschwerte das Vorhaben sicherlich. Doch ausreichend Zeit und nunmehr größere Freiräume waren ja vorhanden. So einfach allerdings, wie die Sachlage sich theoretisch darzustellen schien, so gegensätzlich und insbesondere diffiziler entwickelte sich das Geschehen in der mitunter harten Realität. Die Elf von der dänischen Grenze nahm mit fortlaufender Dauer zwar das Drehbuch der Partie in beide Hände, erarbeitete sich durchaus klare Vorteile gegenüber den kämpfenden Pinnebergern, kam aber insgesamt betrachtet zu einer lediglich geringen Anzahl an verwertbaren Torgelegenheiten. Eine hätte zunächst auch gelangt, um den Vorsprung des VfL zunächst einmal zu egalisieren. Werden jedoch Möglichkeiten der Kategorie 100% versiebt, wie es Sören Gram nach 31 Minuten oder Ex-Profi Bodo Schmidt (180 Bundesliga-Einsätze für Dortmund und Köln) wenige Augenblicke zuvor gänzlich freistehend taten, ist die von Sekunde zu Sekunde wachsende Torschlusspanik und die daraus erwachsende Verkrampfung der fußballerischen Mittel durchaus zu verstehen. Zumal die Bliemeister-Jungs ihr Kämpferherz entdeckten, dieses konsequenterweise nach Lust und Laune auslebten und den Gelb-Blauen das Leben somit nicht unbedingt erleichterten.
Unmittelbar in Anschluss an die numerischen Dezimierung nach knapp einer halben Stunde hatte Pinneberg die Defensive verstärkte, mit Mark Müller einen neuen Akteur für die Verteidigung gebracht. Das Konzept hieß nun für den Rest der Begegnung „hinten sicher, vorne Rückert“. Speziell in Hälfte zwei musste man den Gästen von der Förde stetig anwachsenden Aktionsspielraum zugestehen und versuchte es in der Offensive meist mit Konterangriffen, wobei Frank Rückert – seit Bankowskis Auswechslung quasi Alleinunterhalter – ein ums andere Mal den von Markus Draeger souverän beaufsichtigten Kasten der Flensburger in Gefahr brachte. Per Kopf noch vor der Pause und per Heber (73.) scheiterte der VfL-Kapitän allerdings. Noch. Wie gesagt, auf Gästeseite häuften sich die zwingenden Einschussgelegenheiten auch nicht gerade. Jörgen Christensen versuchte es mit einem Distanzschuss (52.) ebenso wenig erfolgreich wie später erneut Sören Gram, der einen Volleyknaller aus vollem Lauf links am Pfosten vorbei zischen ließ (78.). Durchaus klare Chancen, keine Diskussion. Aber ebenso wenig über das fahrlässige Verstreichenlassen dieser. Das Pinneberger Bollwerk stand grundsolide und unerschütterlich. Sicherlich auch und vor allem ein Verdienst von Organisator Marco Kebbe, der sich wagemutig in nahezu jeden Flensburger Schussversuch stürzte, seine Nebenleute zudem unüberhörbar und unnachlässig zu vollem Einsatz antrieb.
Die späte Entscheidung, gleichbedeutend mit dem zweiten Treffer für Frank Rückert, belohnte schließlich die Kampfesmoral der Blau-Roten und ließ deprimierte 08er zurück. Kein Wunder, hatte sich so mancher der mitgereisten und überaus stimmgewaltigen Anhänger aus dem hohen Norden nach 27 absolvierten Minuten und der Hinausstellung gegen Christian Förster wohl bereits auf der Siegerstraße gewähnt.
Stimmen:
Thomas Bliemeister (Trainer VfL Pinneberg): Der Platzverweis war in der dreißigsten Minuten und das ist natürlich ein langer Zeitraum bis zum Ende. Da muss man Charakter und Kampfeswillen zeigen, um die neunzig Minuten zu überstehen. Das hat die Mannschaft getan. Die letzten zwei Jahre, in denen wir spielerisch noch nicht so stark waren, haben wir immer so gespielt wie heute mit einer kompakten Defensive. Das ist nicht immer einfach. Aber das Spiel mit Rückert vorne in der Spitze kam uns entgegen. Heute hat er die Chancen verwertet, die in den ersten acht Spielen leider nicht ins Tor gingen.
Kent Scholz (Trainer Flensburg 08): Dass wir verloren haben, lag zum einen an den vergebenen Chancen in der ersten Halbzeit. Da hatten wir drei, vier hundertprozentige Chancen. Und in der zweiten Halbzeit haben wir den Fehler gemacht, dass wir nicht das Flügelspiel gesucht haben und auch nur zu drei Chancen kamen. Wenn man die nicht ausnutzt, kann man so ein Spiel nicht gewinnen. Wir haben zu 70 oder 80 Prozent das Spiel gemacht. Pinneberg stand hinten ganz gut, trotz alledem muss man die wenigen Chancen, die man sich herausarbeitet, auch nutzen. Die Pinneberger haben gut gekämpft, wir hätten das nicht anders gemacht. Wir haben im Moment ein Problem mit der Chancenauswertung, das hat man heute deutlich gesehen.
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