Wir sind noch in der Anfangsphase der Partie. Aus einer beruhigten Spielsituation wird der Ball aus der Tiefe der Hannoveraner Spielhälfte lang – gaaanz laaaang – diagonal über die Adolf-Jäger-Kampfbahn bis an den Strafraum des AFC getreten. Hannovers Rechtsverteidiger Jan Melich dürfte es wohl gewesen sein, der diese nicht gerade revolutionäre und eigentlich ebenso wenig Gefahr heraufbeschwörende Idee hatte. Alle Zeit der Welt für die Abwehr – zu wenig Zeit für Oliver Leinroth. Der taxiert den Ball falsch, lässt den auch in der Folgezeit ballsicheren Fabian Montabell in Ruhe annehmen und sich dann noch von diesem lässig umkurven, so dass der 96er alleingelassen vor Oliver Hinz auftaucht. Ein spielend leichtes 1:0 für die Gäste. Da der AFC zu Beginn ohnehin nicht recht ins Spiel fand, wie hinterher auch Trainer Andreas Prohn bestätigte, verunsicherte der Rückstand umso mehr. In der Anfangsphase waren insbesondere Altonas Innenverteidiger und das defensive Mittelfeld total neben der Spur; Andreas Krohn und Jasmin Bajramovic fielen durch Kamikaze-Pässe auf. Doch die Hannoveraner zeigten sich bescheiden; Leinroths Gastgeschenk reichte ihnen, und so ließen sie in der 17. Minute die 100%ige Gelegenheit zum 0:2 aus, das zu diesem Zeitpunkt den AFC möglicherweise schon völlig aus dem Spiel genommen hätte. Das Publikum murrte, die Stimmung unter den wenigen Zuschauern war schlechter als es die bislang doch recht ansehnliche Saisonleistung des AFC verdient hätte. „Algan rein, Prohn raus“, so war kurzzeitig zu vernehmen.
Doch nun wurde vieles besser, und das Publikum stand schnell wieder hinter seinem AFC. Zunächst das überraschende 1:1. Martin Reiter schlägt eine von vielen Flanken aus dem rechten Halbfeld. Diese Flanke flog auf den Kopf des erneut als Aushilfsstürmer agierenden Jacob Sachs, der bislang nicht als Kopfballungeheuer bekannt war und das bestimmt auch niemals werden wird, und vielleicht wurde er ob dieser Tatsache und wegen seiner schließlich auch nicht fürs Kopfballspiel gemachten Statur von Hannovers etwa zwei Köpfe größeren Innenverteidigern so sträflich allein gelassen? Wie auch immer, 1:1. Nun stehen für die erste Halbzeit noch einige Chancen auf beiden Seiten in meinen Notizen – die beste davon hatte der AFC durch den heute im Abschluss sehr unglücklichen Tunjic; 96 hätte durch einen Montabell-Kopfball treffen können, doch Hinz hielt nicht nur in dieser Szene gut. Doch auch am Spielfeldrand wurden die Zuschauer der Gegengeraden gut unterhalten. Nachdem Leinroth während eines Zweikampfs die Eckfahne zerbrach und aufgefordert wurde, diese wieder aufzustellen, reagierte er unwirsch: „Die ist kaputt. Soll ich die wieder heil machen?!“ Berkan Algan, mal wieder Bankdrücker, nutzte die Chance, seinem Team zu helfen, stellte die Eckfahne wieder auf und ließ verlauten: „Jetzt bin ich ja doch noch zu was gut.“ Darauf aus dem Publikum: „Mensch Berkan, Du bist ja viel zu schade für das Spiel.“
AFC-Coach Prohn war sich dann aber nicht zu schade, das Enfant terrible seines Teams zur zweiten Halbzeit auf den Platz zu schicken. Obgleich Algan sofort seine Szenen hatte und zu gefallen wusste – mal ein Hackenpass, mal ein feiner Außenristpass und mal werden zwei Hannoveraner auf dem Bierdeckel ausgespielt –, kam Altona wieder nur schwer ins Spiel. Hannover hatte in der ersten Viertelstunde nach der Pause beinahe Chancen im Zwei-Minuten-Takt, aber wurde dabei nicht zwingend. Nicht einmal als diesmal André Moheit in Geberlaune war und es als letzter Mann mit gleich drei 96ern im Dribbling aufnehmen wollte, doch schon am ersten hängen blieb. Aber der Abschluss der 96er war mal wieder bescheiden. Der Gästecoach Carsten Beschorner zeigte sich über diese mangelnde Entschlossenheit seiner Elf nach dem Spiel enttäuscht. Er war „unzufrieden, dass meine Mannschaft die Punkte aus Wilhelmshaven, wo mein junges Team sehr unglücklich verloren hat, nicht zurückholen konnte und das nicht mit letztem Einsatz versucht hat.“ Dort, in Wilhelmshaven, wurden vor wenigen Tagen die Hannoveraner Aufstiegshoffnungen zu Grabe getragen. Und wie sah der Trainer des Heimteams das Spiel? Andreas Prohn wirkte auch nicht glücklich, denn das Unentschieden sei für ihn zwar leistungsgerecht gewesen, jedoch habe sein Team in der zweiten Halbzeit die besseren Chancen gehabt, kommentierte er.
Das stimmt: Denn obwohl sich der AFC in der zweiten Halbzeit ein Weilchen in der Umklammerung des spielstarken Profi-Nachwuchses befand, hätten Tunjic nach Sachs-Flanke (55.), Reiter per 22-m-Freistoß (71., Außenpfosten) und Algan nach Bajramovic-Flanke (78.) allemal für den AFC treffen können. Taten sie aber nicht, und so blieb es bei einem unterhaltsamen Unentschieden in einem Spiel, das keiner unbedingt gewinnen wollte und das demnach auch keinem richtig wehtat.
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