Durchpusten war angesagt. So schwer hatte man es sich aus der Sicht der Victorianer wohl nicht vorgestellt. Mit dem 3:2 war der Meister richtig gut bedient, ein Unentschieden hätte dem Spielverlauf und vor allem dem Chancenverhältnis eher entsprochen. „Wir haben nach einer halben Stunde einfach aufgehört“, kritisierte SCV-Trainer Bert Ehm den Auftritt seiner Mannschaft. Dass es trotzdem zu den Punkten reichte, lag an schönen Traumtoren, die jedoch alle nicht ganz unhaltbar schienen.
Zu Beginn trat der Primus der beiden letzten Spielzeiten mit einer breiten Brust auf. Der Ball lief gekonnt und technisch versiert durch ihre Reihen. Die Niendorfer kamen in manchen Phasen nur durch Zufall an das Spielgerät, um es dann auch postwendend in der Vorwärtsbewegung zu verlieren. NTSV-Coach Segner agierte mit Gerrit Jakobs als einzige Spitze, dahinter sollten ihn Geburtstagskind Ole Natusch, Eduardo Avarello und Tobias Herbert unterstützen. Dies klappte lange Zeit gar nicht, Herbert hatte sowieso mit dem offensiven Rechtsverteidiger Hakan Ucan genug in der Defensive zu tun. Die beiden Sechser Dirk Hellmann, gerade im zweiten Abschnitt besonders stark, und Sebastian Semtner, nach gut zwei Jahren mal wieder in der Startformation, mussten gegen Sven Trimborn und Jan Melich bestehen. Diese Zuordnung passte in der ersten halben Stunde gar nicht. Vor allem Melich konnte geschickt das Spiel lenken. Dass er auch das Führungstor einleitete, lag aber nicht vordergründig an seinen Gegenspieler. Beim Ausführen eines Freistoßes, nahe der Mittellinie, steht man gemeinhin frei, umso schlimmer war das Abwehrverhalten der Niendorfer danach. Ahmet Hamurcu stieg an der Strafraumgrenze (!) hoch, mutterseelenallein übrigens, und seine Kopfballbogenlampe senkte sich zur Verblüffung aller in den Winkel. Andre Tholen schaute in aller Ruhe zu und zeigte keine Regung. Victoria beherrschte nach der frühen Führung nun vollends das Geschehen, ohne dabei den Charme von Torgefahr zu versprühen. Einzig Hamurcu hätte eventuell erhöhen können, scheiterte aber an Tholen (29.). Niendorf begann sich aufgrund einzelner gewonnener Zweikämpfe in das Spiel zu kämpfen. Gerade die schnellen Flankenläufe von Natusch brachte die SCV-Verteidigung in Verlegenheit. Bei einer eigenen Ecke musste Ucan den Tempogegenstoß der Niendorfer durch Natusch mit einem beherzten Sprint verhindern (38.). Bei dem Kopfball von Natusch war es eher die an Sensibilität mangelnde Flanke Avarellos, die den Ausgleich verhinderte (45.).
Der gelang nach dem Seitenwechsel dann doch, da Natusch Mark Pomorin an der Seitenlinie stehen ließ und zielgerichtet Jakobs bediente, der zwei bis drei Schritte schneller war als sein Gegenspieler Mirko Schulz. Victoria wankte und es wäre vermeintlich auch gefallen, wenn Natusch einen besseren Schuss aus 16 Metern hingelegt (56.) oder Semtner seinen Kopfball aus drei Metern nicht mit der Nase sondern mit der Stirn platziert hätte (58.). In dieser Phase waren es die Gastgeber, die gefährlicher wirkten und dem 2:1 näher waren. Und genau in dieser Phase waren es zwei Kunstschüsse, die den Meister auf die Siegerstraße brachten. Erst hämmerte Ucan den Ball aus spitzem Winkel von der Strafraumgrenze über Tholen hinweg ins Netz. Vier Minuten später war es der eingewechselte Aytac Erman, der aus 24 Metern abzog. Sein Schuss flatterte und Tholen zeigte wieder keine Regung, das 1:3 war perfekt. Jens Lehmann hätte seine wahre Freude an diesem Schuss gehabt. Wäre doch seine Theorie bestätigt worden, dass die neuen Bälle viel schwerer zu halten sind, da sie anscheinend in der Luft die Flatter machen. Dass Tholen eine Mitschuld nicht nur an diesem Tor hatte, soll zudem die Aussage von seinem Trainer Segner belegen. „Was soll ich sagen? Zu den individuellen Fehlern bei den Gegentoren sage ich nichts!“ Jeder wusste aber, wen er meinte.
Niendorf gab allerdings nicht auf und kam durch das Eigentor von Trimborn, er lenkte einen Schuss von Natusch entscheidend ab, heran und wäre beinahe für eine gute zweite Halbzeit belohnt worden. Sven Weißner hatte das 3:3 auf dem Fuss, aber SCV-Keeper Felix Sager hielt die ersten drei Punkte der Saison mit einem Reflex fest. Segner lobte die Leistung, das Ergebnis aber nicht. „So eine Niederlage tat verdammt weh. Die Jungs haben alles gegeben und wir waren nahe dran.“ Doch nahe ist halt nicht nahe genug.
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