03.11.2008 Rückblick: Neuigkeiten, Altbewährtes und eine Revolution von Mirko Schneider
Ein guter Freund von mir, seit vielen Jahren leidenschaftlicher Old-School-Fan, macht mir immer wieder große Freude, wenn wir uns ab und an über Menschen unterhalten, die was gegen Fußball haben. So ein Gespräch läuft zwischen uns immer nach festgelegten Interaktionsmustern ab, die uns beide ständig grinsen lassen. Wir erzählen uns in bunter Reihenfolge von der Poesie und Rauheit dieses Sports, von großen Spielen, verschiedenen Fankulturen, Spielsystemen, soziologischen Analysen, Welt- und Europameisterschaften, den Profiligen und zigtausenden sonstigen Anekdoten und fordern, natürlich, die Europapokal-Wettbewerbe in ihrer ursprünglichen Form zurück. Die „Gegenargumente“ der Nicht-Wissenden streifen wir höchstens mal kurz, um uns zu amüsieren, da sie es eigentlich nicht wert sind, erwähnt zu werden. Wir sind da mit uns völlig im Reinen. Besonders gern sprechen wir aber über den Amateursport, über die Basis des Fußballs, ohne die selbst der große FC Bayern München (wir finden ihn gar nicht so „groß“, aber das ist ein anderes Thema) nichts wert wäre. Und wenn wir dann bei der Oberliga-Hamburg angekommen sind und die Tradition der Elstern erörtert und den Laufstil einiger Egenbüttler Spieler anaylsiert haben, wenn Billstedts Catering und Peter Martens Sprüche gelobt sind, wenn wir, mit einem Wort, fast die ganze Liga durch haben, dann wiegt er immer seinen Kopf und sagt: „Gott, wie kann man nur Fußball nicht mögen? Einiges bleibt immer herrlich gleich und drum herum passiert ständig etwas!“
Und genau das ist es! Wer behauptet, man spiele ja eh nicht mit, deshalb könne man als Zuschauer davon nicht ergriffen werden, oder, noch klassischer, Fußball bestehe aus 22 hinter dem Ball herlaufenden Spielern, der hat keine Ahnung von diesem Sport. Das bewies auch der 14.Spieltag der Oberliga Hamburg, der wie immer einiges zu bieten hatte, nämlich Neuigkeiten, Altbewährtes und eine Revolution.
Beginnen wir doch gleich mit der Revolution. Diese fand an der Waidmannstraße statt, aber nein, St. Pauli II hat nicht schon wieder einen Gegner abgefidelt und den Fußball neu erfunden. Vielmehr zeigte sich Ohes Trainer Peter Wiehle als Dialektiker par excellence und belebte einen alten, längst in Vergessenheit geratenen und eigentlich schon entschiedenen Streit neu: Viererkette oder Libero? Welches System dieses Rennen gewonnen hat, wissen wir alle, doch Wiehle vereinte These und Antithese auf beeindruckende Weise. „Viererkette und Libero“ hieß seine Synthese, was so aussah, dass Selim Aksu den freien Mann in einer somit fünfgliedrigen Kette zwischen den Innenverteidigern gab. Ein ob so viel Chuzpe sichtlich verduztes Kiezkickerteam schlug den Tabellenletzten somit „nur“ knapp mit 1:0, was Ohe allerdings auch nicht vom Tabellenende wegbringt. Am Schluss zählen halt die drei Punkte (*pling*) und so konnten die Mannen von Joachim Philipkowski rein ergebnistechnisch ihre Tabellenschlusslichtphobie (Egenbüttel lässt schön grüßen!) überwinden.
Fahren wir nun eine Ecke weniger radikal weiter fort und kommen zu den Neuigkeiten, zwischendurch immer wieder gemischt mit dem Altbewährten. Da fällt beim flüchtigen Blick auf das Klassement als Erstes auf, dass das die letzte Null in der Spielstatistik gelöscht ist. Was ist passiert? Wer hat endlich mal gewonnen oder welche Übermannschaft ist zum ersten Mal geschlagen worden? Gemach, gemach – Barmbek-Uhlenhorst hat nur sein Hopp-oder-Topp-Prinzip aufgeben und das erste Mal Unentschieden gespielt. 1:1 in Niendorf, die damit – ein saisonbewährter Einschub sei gestattet – weiterhin daheim nicht gewinnen können. Trainer Carrel Segner hat trotz misslicher Lage aber noch die Rückendeckung des Vereins. Ein schlichter Dreier in naher Zukunft würde diese sicherlich stärken.
Einen solchen „schlichten Dreier“ forderte am Freitagabend auch Daniel Sager von seinen Jungs und probierte mal ganz was Unerwartetes. Er machte seinen Borgweglern klar, dass sie nicht gut spielen müssen und sich auch „nebeneinander stellen und klönen“ könnten. Einzige Bedingung der Lizenz zum Grottenkick: ein Sieg! Doch seine Spieler müssen ihn missverstanden haben, denn in der ersten Hälfte spielten sie so grottig wie gefordert, von einem Sieg war aber nichts zu sehen. In der zweiten Halbzeit gewannen sie dann zwar, aber absolut verdient nach einer spielerisch ansprechenden Leistung mit phasenweise tollem Kombinationsfussball. Sie waren also zwischen Folgsamkeit und Aufbegehren hin- und hergerissen, aber Sager wird es egal gewesen sein, denn die drei Punkte sind in Sack und Tüten. Bei Halstenbek-Rellingen hingegen fragte sich Selcuk Turan, warum seine Mannschaft, Torwart Dennis Schultz ausgenommen, „nach 15 Minuten das Fußballspielen völlig einstellte“. Tja, Herr Turan, Sie sind eben kein echter Fuchs! Sie müssen das fordern von den Jungs, dass da nur Mist raus kommt, dann läuft das gleich ganz anders.
Ebenfalls neu: Der SC Concordia ist in der Lage auswärts ein Fußballspiel zu gewinnen. Und das sogar deutlich. Ein klares 4:1 holte die Elf von Andreas Reinke am Moorweg, dessen Startbilanz mit drei Siegen aus vier Spielen sehr gelungen ist. Momentan scheint es jedenfalls, dass man sich für den Verlauf der Restsaison wenig Sorgen um das Hamburger Urgestein aus dem Marienthal machen muss. So langsam erreicht die Mannschaft sichere Gefilde, aber Entwarnung kann natürlich noch nicht gegeben werden. Egenbüttel hingegen punktet weiter mit Vorliebe gegen die Großen – zu denen der SC Concordia momentan nicht gehört. Langsam stellt sich die Frage, ob die Mannschaft die Klasse für die Liga hat. Die nächsten Spiele werden es vielleicht schon weisen. Wie immer in so einer Lage (Platz 17) müssen ganz schnell ganz viele Punkte her, am besten schon gestern. Aber es geht ja jetzt auswärts zum Tabellenführer und nach dem Sieg gegen St. Pauli II und dem Punkt in Bergedorf ist die Truppe von Trainer Ralf Palapies dort fast schon Geheimfavorit.
Meiendorf ist auch unser nächstes Thema und hier tut man sich schwer noch Unentdecktes zu entdecken. Wer gerade von einem dreimonatigen Auslandstrip aus der Stille irgendeiner reinen, vom Internet und sonstigen menschlichen Nachrichtenströmen unbedrängten Natur wieder kommt, mag sich wundern – der Rest der Branche hat sich daran gewöhnt, dass Meiendorf dieses Jahr oben mitspielt. Das coole 3:1 beim SC Paloma, in James-Bond-Manier effizient herausgeschossen, spiegelt die Ansprüche des MSV wieder. Die Tauben von der Brucknerstraße hingegen überraschen eben doch nicht jeden Favoriten so zur frühen Morgenstunde wie Bergedorf 85. Die Realität heißt weiter Abstiegskampf. Wenn sie nur die Hälfte ihrer Chancen rein machen würden, hieße sie vermutlich „Duell mit St. Pauli II“, aber wenn der Ball nicht integraler Bestandteil dieses Spiels wäre, wäre Uli Borowka auch genau wie Maradonna gewesen.
Dieser ist ja jetzt Nationaltrainer von Argentinien und die haben bestimmt auch viele, schöne Kunstrasenplätze und mit dieser ins Blaue geschossenen Behauptung ist die Überleitung zum SV Curslack-Neuengamme auch schon geschafft. Außerdem haben die auch blaue Triktos und wenn ich noch länger nachdenken würde, würden mir garantiert noch zig weitere Analogien einfallen. Aber sprechen wir stattdessen lieber vom Spitzenspiel der Deichkicker gegen Bergedorf 85. Dort ging es nach der Pause richtig ab und 523 Zuschauer sahen ein packendes Match, in dem Christian Spill, ganz der Alte, doppelt traf, die Elstern aber am Ende jubelten. Jan Landau sorgte mit dem Abpfiff für die erste Führung nach zweimaligem Rückstand. Das bedeutete den Treffer zum 3:2-Auswärtssieg und Wolfgang Nitschke, sonst ruhiger, sachlicher Analytiker, sprang überraschenderweise vor Freude seinem Torwart Mirko Langen in die Arme. Da sieht man, wie viel Feuer in diesem Mann lodert und trotz allem Mitgefühl mit den toll kämpfenden Curslackern gönnt man ihm ob dieser Bilder diesen Erfolg.
Schon länger für seine feurige Art bekannt ist hingegen Norderstedts Coach Marco Krausz, der auch diese Woche einen neuen „Freund“ in der Schiedsrichter-Gilde fand. Es handelte sich um Sebastian Hübner, welchem der Coach viele kleine Fehlentscheidungen und besonders das 1:2 ankreidete. Bis auf das eben erwähnte Tor, über dessen Entstehung man streiten kann, sah unser Redakteur das anders, doch Krausz wird es mittlerweile egal sein. 3:2 gewann seine Mannschaft und schwamm sich nach den traurigen letzten Wochen etwas frei, während die Buchholzer ihrerseits in Person ihres Trainers Thomas Titze das Verhalten der Norderstedter Spieler auf dem Rasen anprangerten. Das das half bei dieser schwachen Chancenverwertung auch nichts mehr und so wurde der Höhenflug der Nordheider trotz zweimaliger Führung erst einmal auf Eis gelegt.
Auf Eis gelegt scheint auch die Spielkunst des SC Condor, sobald es auf fremde Plätze geht. Die nicht unerwartete 0:2-Niederlage beim SC Victoria und Platz 16 in der Auswärtstabelle zementieren dieses Bild. Einen Platzverweis für Mike Griesch gab es noch obendrauf, allerdings war zu diesem Zeitpunkt Jasmin Bajramovic schon längst vom Feld geflogen. Trotzdem punktet der SC Victoria gegen die Kleinen beharrlich weiter und hält somit im Spitzenkampf den Anschluss.
Diesen, und den auch nur ans Mittelfeld, droht der SV Lurup langsam zu verlieren. Wieder kein Sieg, diesmal 0:0 in Billstedt. Seit dem 31.08. hat die Mannschaft nicht mehr gewonnen, wenngleich sie an diesem Wochenende sogar ganz ordentlich kickte. Doch der Ball fand seine Bestimmung auf beiden Seiten nicht und so reichte es nur zum nun schon siebten Remis. Die Rot-Violetten-Gastgeber hingegen verloren mal nicht daheim in den Schlussminuten und lernten was dazu: man kann in solchen ausgeglichenen Durchschnittsspielen auch einfach mal einen Punkt einsacken, welcher am Ende noch wertvoll sein kann.
Blickt man aber zum Schluss auf den Wert der „Neuigkeitenskala“, so muss der Auftritt des Luruper Trainers an dieser prominenten Stelle stehen und den Bericht abschließen. Oliver Dittberner erschien pünktlich zur Pressekonferenz, lobte die Gastgeber sehr charmant für das, was in Billstedt aufgebaut wurde („Klubhaus, Kunstrasen, kleine, neue Tribüne, junge Mannschaft“), beantwortete geduldig, höflich und freundlich die Fragen der Journalisten und nahm sich sogar danach noch etwas Zeit für uns, um ein paar Minuten zu plaudern. Da wir Sie öfter mal öffentlich kritisiert haben, wenn Sie nach dem Spiel keine Zeit für uns hatten, wollen wir diesmal auch öffentlich loben: Ganz starker, rundum symphatischer Auftritt, Herr Dittberner! Darf gerne bald das Prädikat „altbewährt“ erhalten.
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