14.12.2008 Ndiaye hat es einfach besser von Mirko Schneider
Altona 93 – Türkiyemspor Berlin 0:3 (0:1)
Altona 93: Kalaycioglu – Brück (64. Friauf), Warnick, Mandic, Rose – Siedschlag, Hoose (54. Röhr) – Ansorge, Richter – Tunjic, Starck (64. Bektas) Türkiyemspor Berlin: Rothe – Grossert, Doymus, Teichmann, Senkaya – Novacic, Lemcke – Koc (87. Akgün), Manai (89. Joof), Steinwarth (71. Ergiliguer) - Ndiaye Tore: 0:1 Lemcke (38., Vorarbeit Ndiaye), 0:2 Koc (57., Manai), 0:3 Ndiaye (87., Ilter) Schiedsrichter: Schriever (TSV Otterndorf) – hatte eine kritische Szene zu überstehen, als Novacic den Ball (unabsichtlich?) im Strafraum im Fallen gegen Siedschlags Schuss blockte (67.). Grenzfall, weiterspielen wohl vertretbar. Ansonsten ruhig, abgeklärt und sicher. Beste Spieler: Hoose, Siedschlag – Rothe, Ndiaye Zuschauer: 495
Hans Magnus Enzensberger, ein weiser intellektueller Begleiter unserer Republik, meinte neulich in einem sehr empfehlenswerten Interview, das Schöne an unserer Spezies sei ihre ständige Beschwörung der Idee der „Sozialen Gerechtigkeit“. Es könne so ungerecht kommen, wie es wolle, diese Idee sei niemals zu vernichten, was umso bewundernswerter sei, da es Soziale Gerechtigkeit gar nicht gäbe. Enzensberger hat mit Fußball nichts am Hut (er meinte einmal, er war in der Schule immer der Junge, den keiner wählen wollte), doch ein scheinbares Fallbeispiel für seine Sicht der Dinge hätte er heute an der Hoheluft beobachten können.
Während Altona das Spiel in der ersten halben Stunde bestimmte, ohne zu überzeugen, trabte Babacar Ndiaye fast gemütlich als einzige Spitze der Gäste über den Platz. Er sah von weitem, wie Heiko Ansorge eine Ablage von Jürgen Tunjic - wurde vor Spielbeginn für seinen 150. Pflichtspieleinsatz geehrt - verzog (16.), wie Michael Starck einen starken Pass von Benny Hoose nicht verwerten konnte und mit einem versuchten „Tunnel“ an Daniel Rothe scheiterte (18.) und wie Jan-Philipp Rose nach einer Kopfballverlängerung von Tunijc zwei Meter vor dem Kasten erst noch seine Füße sortieren musste und dabei den Abschluss versäumte (21.).
Von Ndiaye, einst ein brauchbarer Stürmer in der zweiten Bundesliga und vor zwei Tagen 35 geworden, gab es dabei kaum etwas zu berichten. Wenn man ihn einst näher beobachtet hat, schüttelte man den Kopf, wie langsam und zweikampfschwach er einem vorkam. Ab und zu gelang ihm mal ein Pass, aber eigentlich war das nix. Seine Kollegen spielten allerdings auch nicht viel besser, besonders Linksverteidiger Senkaya Ilter, der mehrfach unaufmerksam war und nach einer halben Stunde Tunjic viel Raum für einen platzierten Kopfball vom Elfmeterpunkt ließ – doch dieser platzierte den Kopfball weit am Ziel vorbei. Im Gegenzug rutschte Altonas Kepper Hayko Kalaycioglu bei einem eigenen Handabwurf der Ball so unglücklich aus den Fingern, dass er mit einer waghalsigen Grätsche einen selbstverschuldeten Rückstand verhindern musste.
Doch Altonas Unheil hatte sich damit nur verzögert: Einwurf für die Gäste von links durch Florian Grossert, Ndiaye verlängerte clever per Kopf an den langen Pfosten und dort stritten sich Sören Warnick und Norbert Lemcke im Getümmel sekundenlang um den Ball. Ein Streit, den der Berliner für sich entschied, um die Kugel anschließend aus zwei Metern in die kurze Ecke zu knallen (38.). Bald darauf wurde ein Schuss von Marcus Steinwarth noch leicht abgefälscht, fand aber nicht den Weg über die Torlinie (42.), so dass dem AFC in Halbzeit zwei noch alle Optionen blieben.
Ohne groß aufzutrumpfen waren es jedoch zunächst die Gäste, die dort gefährliche Aktionen hatten. Erst konnte Ilter mit viel Freiraum im Strafraum des AFC nichts anfangen und köpfte ins Niemandsland (52.), aber dann gab es ein selten merkwürdiges Gegentor für die Hamburger. Türkiyemspor fuhr einen Konter und der bis dahin schwache Kais Manai spielte einen Zuckerpass in den Lauf von Süleyman Koc. Dieser stürmte allein auf Kalaycioglu zu und wollte einen noch besser postierten Mitspieler bedienen, als Kalaycioglu einen Riesenbock baute. Offensichtlich wollte er spekulieren, verlor dabei aber die Orientierung. Konsequenz: Er drehte sich für eine Sekunde fast vollständig um! Koc überlegte sich das mit dem Abspiel schnell noch mal und schob den Ball verblüfft ins Tor.
Man kann nicht sagen, bei Altona 93 wäre nun der Wille gebrochen gewesen. Sie versuchten es und sie hatten Chancen. Doch sie waren: harmlos, harmlos, harmlos. Selbst beste Möglichkeiten wie Bektas` Riesenchance (73.) hatten nur zur Folge, dass Rothe angeschossen wurde. Außerdem kam der völlig ramponierte Platz – Spätfolge des Kicks gegen Magdeburg vor 12 Tagen – der angreifenden Mannschaft ganz und gar nicht entgegen.
Türkiyemspor verschanzte sich, wartete clever ab und fuhr zum Schluss noch einen Konter. Und in der Tat: Ndiaye, bis dahin wiederum nur durch eine vergebene Konterchance und sonst gleich gar nicht aufgefallen, zauberte auf einmal aus der Trickkiste, vernaschte seinen Gegenspieler und schob den Ball mit seiner ganzen Erfahrung an Kalaycioglu vorbei in die lange Ecke.
Also ein klarer Fall. Ein Musterbeispiel dafür, wie wenig ein Stürmer tun muss, um Erfolg zu haben. Viel Leerlauf, aber eine Torvorlage, ein Tor, ein paar brauchbare Pässe…danke, keine Fragen mehr, Enzensberger hat Recht. Wenn man aber weiß, dass sich Ndiaye seit Anfang der Saison im Trainingscamp der vereinslosen Fußballer fit halten musste, da er keinen neuen Verein fand, und erst seit November 2008 wieder spielt, nämlich bei Türkiyemspor, wie sieht es dann aus? Die Wahrheit, sie liegt eben nicht immer nur auf dem Platz…
Fazit: Türkiyemspor Berlin war keine drei Tore besser, aber auf jeden Fall drei Tore cleverer. Sie präsentierten sich abgezockter und verdienten sich den Sieg durch das, was Altona fehlte: eine gute Chancenverwertung.
Stimmen:
Uwe Erkenbrecher (Trainer Türkiyemspor Berlin): Unter dem Strich habe ich heute wieder festgestellt, dass wir mit jedem mithalten können. Bis auf die ersten zwanzig Minuten, das ist uns leider schon häufiger passiert. Da konnte Altona aus seinen Chancen kein Kapital schlagen und wir hatten große Probleme in die Zweikämpfe zu kommen, waren zu weit weg vom Gegner. Altona war sehr laufstark, ich habe sie auch mal als >>Bienen<< bezeichnet. Sie sind immer in Bewegung, schlecht im Offensivspiel ausrechenbar und die Stürmer tauschen ständig die Positionen. Siedschlag, der kein typischer Sechser ist, kurbelt auch immer wieder an. Wir haben also glücklich diese ersten zwanzig Minuten überstanden und dann spricht es für unsere Moral und zeigt, dass wir Fußball spielen können, wenn wir etwas Luft und die ersten Chancen kriegen, denn dann waren wir gleichwertig. Wir hatten dann die glücklichen Momente auf unserer Seite und waren am Schluss klarer Sieger. Nach dem 2:0 für uns hatte Altona aber noch einige Möglichkeiten, die wir mit Widerstand, Kampf und Glück geklärt haben. Dafür haben wir unsere Konterchancen durch Koc und Ndiaye zu einhundert Prozent genutzt. Wenn wir besser waren, waren wir höchstens um ein Tor besser, aber das ist jetzt egal, denn die drei Punkte sind sehr wichtig für uns.
Torsten Fröhling (Trainer Altona 93): Wir sind in dieser Regionalliga ein Underdog wie Türkiyemspor und für uns war das heute ein Sechs-Punkte-Spiel. Der Druck lag immens bei uns und wir wollten unbedingt gewinnen. Wie Uwe schon sagte haben wir in den ersten zwanzig Minuten gut gespielt und uns Chancen erarbeitet. Wir wollten schnell unser Tor machen, aber es hat nicht sollen sein. Ob das Unvermögen ist oder Aufregung, ist die eine Sache. Was ich aber nicht verstanden habe ist, dass wir danach sehr unkonzentriert gespielt haben. Flachpassspiel geht zwar nicht gut auf dem Platz, das ist schon klar, aber ein bisschen mehr sollte man schon spielen können und das sollte auch unser Anspruch sein. Wir haben in der zweiten Halbzeit zwar sehr viel über außen gespielt und Flanken rein gebracht, aber keinen Kopfball gewonnen. Und bei den Kontern darf man sich natürlich nicht so stellen, dass man hinten mit 1 gegen 3 steht. Symptomatisch war das dritte Tor, da haben wir uns nicht clever genug verhalten. Man sieht also, wie schwer es in dieser Liga ist. Es muss alles harmonieren, es muss alles passen. Ich denke aber, die Moral der Mannschaft stimmt und wir brauchen einfach ein Erfolgserlebnis. Dafür werden wir in den nächsten Wochen arbeiten.
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