14.04.2009 Rückblick: Eine total, total verrückte Hamburger Fußball-Welt von
Wir schreiben das Jahr 1963. John F. Kennedy wird im texanischen Dallas ermordet, in Deutschland der professionelle Fußball eingeführt und in Hollywood dreht der Regisseur Stanley Kramer die Komödie „Eine total, total verrückte Welt“. Unter anderem wirken Spencer Tracy, Buster Keaton, The Three Stooges oder auch Peter Falk (später berühmt geworden als „Columbo“) mit. Die Geschichte ist ziemlich schnell erzählt. Ein Autofahrer kommt auf einer kurvenreichen Bergstrecke von der Fahrbahn ab und stürzt in die Tiefe. Bevor er jedoch stirbt, offenbart er den Helfenden, die zur Unglücksstelle geeilt sind, dass ein Schatz versteckt sei, und zwar unter einem von Palmen gebildeten großen „W“. Etliche Parteien machen sich in den folgenden zwei Stunden auf die sehr amüsante Suche nach diesem „W“, wobei sich die Schatzgierigen immer wieder in die Quere kommen. Am Ende finden sie ihn zwar, aber keiner bekommt das Geld, da es in schwindelnder Höhe verloren geht und alle in der Schlusssequenz verletzt im Krankenhaus liegen. Ein ähnliches Muster lässt sich durchaus für die derzeitige Spielzeit der Oberliga Hamburg erkennen. Nur wird nicht nach dem großen „W“, sondern nach dem großen „M“ für Meisterschaft gesucht. Und immer wenn man als Außenstehender denkt, das die einen auf dem richtigen Weg sind, kommt irgendeine Kuriosität, Slapstickeinlage oder einfach eine Heimniederlage dazwischen und das Rennen geht quasi wieder von vorne los.
Zu Anfang der Saison waren es die Victorianer, die schwächelten, sodass der Abstand zur Spitze eine gewisse Größe annahm. Die Bergedorfer und auch die St. Paulianer trumpften auf und agierten teilweise mit dem Gütesiegel „Klassenunterschied“ gegenüber dem Rest der Staffel. Doch mit der Niederlage gegen den Aufsteiger Egenbüttel begann der langsame und stete Abstieg der Kiez-Kicker. Bergedorf blieb oben dran, ohne jedoch den schon gezeigten Glanz weiter versprühen zu können. Meiendorf setzte sich oben fest und überzeugte zwischenzeitlich mit sieben Siegen aus acht Spielen. Auf einmal erstarkte wieder Victoria, der Meister konnte sich auf seine spielerische und offensive Stärke verlassen. Die Ehm-Schützlinge verloren zwölf Begegnungen nicht, ausgestattet mit 30:8-Toren. Dann kam Bergedorf an die Hoheluft und vorbei war es mit dem Angriffswirbel. Die 85er zeigten den Hausherren eindeutig die Grenzen auf. Bergedorf startete perfekt in dieses Jahr. Sechs Siege alleine im März und dann kam das 2:0 bei Victoria. Wer sollte die „Elstern“ aufhalten? Meiendorf schaffte es nur ansatzweise, konnte zumindest im Spitzenspiel ein Unentschieden auf heimischer Anlage abtrotzen, obwohl zur Halbzeit die Meisterschaft fast entschieden schien. Herr Landau hatte am Karfreitag für die Gäste getroffen, Herrn Gürel und einer stark verbesserten MSV-Mannschaft war es nach der Halbzeit zu verdanken, dass die 85er in der Tabelle nicht davonziehen konnten. Trotzdem half das Remis augenscheinlich den Bergedorfern mehr als den Meiendorfern, denn die Nitschke-Eleven hatte ja noch ein Spiel in der Hinterhand. Gegen Lurup, zu Hause, klare Sache, warum fahren die SVLer überhaupt an die Sander Tannen?
Die Frage schien berechtigt. Die Luruper waren in den letzten Wochen des Öfteren den Beweis schuldig geblieben, sich erfolgreich gegen den Sog des Abstiegskampfes wehren zu können. Höhepunkt der desaströsen Saison war die Heimpleite gegen den SC Egenbüttel am letzten Freitag gewesen. Was sollte es also in Bergedorf zu erben geben? Das 0:6 bei St. Pauli II war noch in frischer Erinnerung. Zu erben gab es einen 2:1-Sensationserfolg, so muss man derzeit einen Luruper Sieg in Bergedorf schon bezeichnen. Dass die Bergedorfer zur Halbzeit höher als 1:0 hätten führen müssen, um einen ungefährdeten Dreier einzufahren, musste ihnen irgendwie bekannt vorkommen. Gab es die gleichen Sätze nicht schon in Meiendorf zu hören? Victoria hingegen nutzte seine gefühlte 25. allerletzte Chance im Kampf um den Titel und drehte nach der Pause gegen BU auf. Zweimal Rahn und Ucan ließen Möller-Riepes Führungstreffer zur Randnotiz verkommen. Auch die Meiendorfer lassen sich einfach nicht abschütteln. Hatten die Göttlinger doch ihre Pflichtaufgabe in Egenbüttel mit 4:0 mehr als ambitioniert erledigen können. Die Bedenken, ob ein neues GW Harburg dem MSV blühen würde, erwiesen sich als nicht gerechtfertigt. Wie das Rennen um das große „M“ ausgeht? Ungewiss! Das Restprogramm lässt aufgrund des komischen Saisonverlaufs wenig erahnen. Bergedorf hat noch jeweils vier Heim- (Norderstedt, Paloma, Curslack und Meiendorf) und vier Auswärtsspiele (Condor, St. Pauli II, Egenbüttel und Concordia) vor der Brust. Victoria darf nur noch dreimal zu Hause antreten (Meiendorf, Buchholz und Billstedt) und muss noch viermalig auswärts auflaufen (Concordia, Voran Ohe, Condor und HR). Meiendorf darf wie Bergedorf noch achtmal auf Punktejagd gehen, davon vier Partien daheim (Niendorf, Norderstedt, Paloma und Curslack) und vier Matches auswärts (Lurup, Victoria, St. Pauli II und Bergedorf). Auf dem ersten Blick ein Vorteil für Bergedorf, welches sowieso einen Punkt und ein Spiel vor Victoria liegt. Meiendorf hat vor allem in der Fremde schwere Brocken vor sich. Aber ein Quasi-Finale am letzten Spieltag in Bergedorf hätte bestimmt seinen Charme.
Hinter dem Trio hat sich zwar St. Pauli platzieren können, aber Curslack sitzt der Großkopf-Elf dicht im Nacken. Zwei Siege gegen Concordia und Voran Ohe schraubte die Serie auf insgesamt zehn Matches ohne Niederlage in die Höhe. Wenn man bedenkt, dass die Henke-Truppe in der letzten Rückrunde fast auf dem Weg in die Landesliga war und teilweise grausame Spiele ablieferte, muss man bezüglich der Entwicklung der letzten zwölf Monate den Hut ziehen. Auf dem sechsten Rang wurde ein wenig Buchholz durchgereicht, obwohl das mehr oder minder die Tatsachen verdreht. Drei Spiele weniger haben die Niedersachsen auf dem Buckel und die Hürde bei St. Pauli II wurde überlegen mit 3:1 genommen. Welche Stärke diese Mannschaft besitzt, zeigte sich bei dem bravourösen Kampf gegen Altona 93 (0:0 nach 120 Minuten), bei dem sich der Regionalligist erst im Elfmeterschießen durchsetzen konnte. Dass die Buchholzer bei dieser Glückslotterie schon mit zwei erfolgreichen Schützen in Führung lagen, machte das Ausscheiden nur umso bitterer. Wo die Wörter „Ausscheiden“ und „bitter“ gerade gefallen sind, der SC Condor führte bis in die späte Nachspielzeit bei Vier- und Marschlande, dann kam der Ausgleich und in der Verlängerung kurz vor Schluss die Niederlage.
Als großen Gewinner der Osterfeiertage darf sich im Kampf gegen das große „A“ der VfL 93 fühlen. Gegen Billstedt gewann das Sager-Team mit 4:2, um am Oster-Montag die Niendorfer mit 2:1 nach Hause zu schicken. Durch diese sechs Punkte innerhalb von drei Tagen hat sich die Abstiegszone vergrößert. Plötzlich muss auch wieder Barmbek an das Punktesammeln denken. Drei Pleiten in Folge haben den Abstand zum fünfzehnten Rang auf vier Zählerchen schmelzen lassen. Gegen St. Pauli II war es Zekiri gewesen, der in den Schlussminuten für das 0:1 aus Barmbeker Sicht sorgte. Wenn man ganz pessimistisch bzw. optimistisch sein möchte, hängt von der jeweiligen Position ab, dann gehört sogar noch Concordia zu dem Kreis der Gefährdeten. Nach zwei auswärtigen Niederlagen gab es zumindest im Pokal Grund zur Freude. In Wedel gab es einen ungefährdeten 4:0-Erfolg, im Halbfinale geht die Reise nach Uetersen. Machbar mag man meinen. Ist wohl auch so, jedoch dürfen die Noch-Marienthaler diese Aufgabe keinesfalls unterschätzen. Herr Ehm und der SC Victoria schafften es nicht, in zwei Stunden ein einziges Tor beim TSV zu erzielen. Im Elfmeterschießen hatte dann der Landesligist das glücklichere Ende für sich.
Ansonsten rückt das Feld in der zweiten Hälfte immer näher zusammen. Niendorf gewinnt plötzlich am Sachsenweg, verliert aber ebenso plötzlich auch auswärts. Halstenbek war eines der Opfer des NTSV und musste sich gegen die Unentschieden-Könige aus Norderstedt, ja richtig, mit einem Unentschieden begnügen. Die Eintracht möchte sich wohl am Ende der Saison keine Feinde mehr machen und teilte sich in den letzten fünf Begegnungen jeweils die Punkte mit dem Kontrahenten. In Billstedt spielt man ebenfalls momentan sehr konstant. Die Anzahl der nicht gewonnenen Spiele ist auf elf angestiegen, beim VfL 93 war Bille beim 2:4 mal wieder nicht auf der Höhe. Egenbüttel klammert sich immer noch an irgendeinen Strohhalm. Hält man den SCE für eigentlich abgestiegen, kommt irgendwo ein unverhoffter Dreier daher. Das 2:1 in letzter Sekunde in Lurup lässt die Hoffnung noch punktuell am Leben, aber so richtig kann man sich das eigentlich mit Egenbüttel und dem Klassenerhalt nicht vorstellen. In Reinbek dürfte es jetzt wohl auch der letzte Berufsoptimist mitbekommen haben, dass der FC Voran Ohe nach zwei Jahren die Staffel wieder verlassen wird. Der Auswärtssieg in Billstedt war nur ein Strohfeuer gewesen, bei Paloma (0:3) und gegen Curslack (1:3) wurde dem Abstieg der Deckel aufgesetzt, dreizehn Punkte Rücksand bei noch neun ausstehenden Partien. Sollte es doch klappen, wäre es ein tolles Szenario für Hollywood. Nur Stanley Kramer könnte es nicht mehr verfilmen, er verstarb vor acht Jahren.
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