27.05.2009 Und dann kam Harry... von Mirko Schneider
SC Concordia – Altona 93 2:1 (0:1)
SC Concordia: Voß – Drews, Reiher, Clausen – Smereka, Janke, Iwosa, Müller – Algan – Steinhöfel (57. Harms), Jurkschat (88. Tahirovic) Altona 93: Hinz – Ansorge (75. Becken), Rabenhorst, Mandic, Brück – Siedschlag, Röhr – Hoose, Nadler (70. Richter) – Tunjic, Starck Tore: 0:1 Siedschlag (42., Vorarbeit Starck), 1:1 Jurkschat (58., Janke), 2:1 Rabenhorst (71., ET., Harms) Gelb-Rote Karte: Siedschlag (83., Foulspiel/Unsportlichkeit) Besonderes Vorkommnis: Wegen des großen Andrangs wurde das Spiel 15 Minuten später angepfiffen. Schiedsrichter: Dirk Hamerich (ETV) – sehr knifflige, aus unserer Sicht nicht aufzulösende Szene in der 38. Minute, als Hoose im Strafraum über Voß fiel. Trübte seine ansonsten gute Leistung durch die erste Gelbe Karte für Siedschlag, der gegen Smereka den Ball spielte (66.). Beste Spieler: Starck, Hoose – Drews, Clausen, Jurkschat, Harms Zuschauer: 2934
Er stand da, schaute an den Journalisten vorbei auf die vor ihren Fans feiernde Mannschaft des SC Concordia, und er war ganz der Schelm, den viele Fans des Amateurfußballs so mögen: „Da kann ich mich ja richtig freuen auf meine nächste Saison, so wie die AFC-Fans bei meiner Auswechslung gebuht haben. Aber das biege ich dann schon wieder gerade“, kommentierte Harry Jurkschat augenzwinkernd. Plötzlich straffte sich sein Blick und er fügte entschieden hinzu: „Das heute – das war unser Ding.“
Was hatte es im Vorfeld nicht alles für Spekulationen gegeben über die `Bald-AFC-ler` im Trikot des SC Concordia in ihrem letzten Spiel. Sebastian Clausen, Harry Jurkschat und Steffen Harms – würden sie Charakter zeigen, alles geben und sich mit einem Pokalsieg gleichzeitig den Weg in die erste DFB–Pokalhauptrunde verbauen? Eine der berühmtesten moralischen Dilemma–Situationen im Fußball wurde zum x-ten Mal aufgeführt. Sie sollte die Dramaturgie dieser Begegnung wesentlich beeinflussen…
Alles begann mit einer optisch eindeutig überlegenen Mannschaft von Altona 93. Die Spielkontrolle lag von Beginn an beim AFC, auch weil der SC Concordia viel zu ängstlich agierte und einen taktischen Fehler machte, wie Co-Trainer Victor da Silva hinterher erläuterte: „Eigentlich sollte Berkan Algan hinter den beiden Sturmspitzen bleiben und sie verschieben. Stattdessen blieb er oft vorne stehen.“ So kam es, dass sich stattdessen Stürmer Harry Jurkschat öfter ins linke Mittelfeld fallen ließ, um Lücken zu schließen. Dementsprechend wenig war von ihm vorne zu sehen. Sebastian Müller rutschte somit oft ebenfalls zurück, auf die für ihn gar nicht vorgesehene Linksverteidigerposition, wo er in der ersten Halbzeit gar nicht zurecht kam. Da auch der zweite Stürmer Kai Steinhöfel viel Defensivarbeit leistete, fand Cordi vorne praktisch überhaupt nicht statt.
Altona 93 indes hatte trotz aller Überlegenheit ein Problem: sie waren kaum zwingend. Sebastian Voß war etwas unsicher bei einem Freistoß von Benny Hoose (1.) und Jürgen Tunjic konnte eine für ihn etwas zu hohe Ecke von Hoose mit dem Kopf nicht mehr gefährlich aufs Tor bringen. Solche Ansätze hatte Altona, aber richtig dicke Torchancen nicht. Bis zur 38. Minute, als Hoose nach einem schönen Spielzug frei vor Voß auftauchte und über ihn fiel. Weder ob Voß den Ball noch berührte, noch ob ein Foul oder bewusstes Einfädeln vorlag, ließ sich letztgültig beurteilen. Darüber musste sich Altona aber keine Gedanken machen, denn nur vier Minuten später glückte die verdiente Führung. Björn Nadler schickte den beherzt vorstoßenden Andreas Brück auf links, welcher ungehindert flanken konnte. Michael Starcks Schussversuch wurde geblockt, doch Stefan Siedschlag nahm sich ein Herz und hämmerte den Ball im zweiten Anlauf aus 20 Metern in die Maschen.
Diese Führung hätte Björn Nadler drei Minuten nach der Pause ausbauen können, zielte jedoch mit der Fußspitze nach feinem Angriff über rechts knapp vorbei (48.). Nach einer von Harry Jurkschat durch einen technischen Fehler vergebenen Chance (52.) passierte dann aber das, womit eigentlich keiner gerechnet hatte: „Cordi“ glich aus! Paul Janke brachte einen Freistoß von der Mittellinie Richtung Elfmeterpunkt, wo Marin Mandic den Ball vermutlich locker weg geköpft hätte. Da Oliver Hinz ohne Not aus dem Tor lief und den Ball haben wollte, wurde daraus nichts. Sein „Torwart“-Ruf verhallte ungehört, Hinz rannte Mandic um, der eine Bogenlampe köpfte, der Ball kam wieder runter, zwei AFC-ler postierten sich schnell auf der Linie und dann kam einer dieser magischen Momente im Sport: Harry Jurkschat, bis dahin unauffällig, stellte sich in Positur, guckte die beiden Verteidiger aus und knallte den Ball volley aus der Luft flach ins linke Eck.
Das war der Startschuss für die Rot-Schwarzen. Auf einmal glaubten sie an ihre Underdog-Chance und kamen deutlich besser ins Spiel. Eine knappe Viertelstunde später war es soweit. Nach einer guten Kombination der Concorden und einer Kopfballabwehr von Mandic gewann Patrick Smereka am Sechzehner ein Kopfballduell und bediente Steffen Harms. Dieser wollte den Ball direkt in der Luft akrobatisch an Hinz vorbei bugsieren. Hinz Arm schnellte heraus, klatschte den Ball aber an den Fuß von Marcus Rabenhorst und von da kullerte er ins Netz – der Außenseiter hatte das Spiel gedreht!
Was jetzt folgte, war leidenschaftlicher Kampf einer Mannschaft, von der Präsident Peter Menssing später sagte, das „Stand heute keiner von Ihnen bleiben wird“. „Cordi“ wollte diesen Sieg nun mit Haut und Haaren, während Altona überhaupt kein Mittel mehr fand und sich nicht eine ernstzunehmende Ausgleichschance heraus spielte, nach Siedschlags Undiszipliniertheit sogar in Unterzahl zu Ende spielen musste.
Jurkschat (83.), der sich seine Pfiffe von den AFC-Fans bei seiner Auswechslung fünf Minuten später abholen musste, und Smereka hätten (86.) sogar noch erhöhen können. Doch es reichte auch so und dann brachen die Emotionen los. Altonas Spieler saßen einzeln auf dem Rasen und starrten ins Leere. Eine verkorkste Saison war noch verkorkster geworden. Die Spieler des SC Concordia hingegen feierten ihren Triumph. Andreas Reinkes Stimme wurde bei seinem „Wir sind Pokalsieger geworden. Wahnsinn!“, schon etwas brüchig und Paul Janke hatte „es immer im Gefühl gehabt, auch in der ersten Halbzeit. Eine solche Seuchen-Saison durfte einfach nicht schlimm enden.“
Altonas Trainer Thomas Seeliger, ob der Enttäuschung natürlich angefressen, legte schließlich noch einen grenzwertigen Auftritt hin, sprach nach der üblichen Gratulation unter anderem von einem Gegner, der „in der ersten Halbzeit den Köttel in der Buchse hatte“ und „der seine erste Chance eben genutzt hat, aber wir haben ja sowieso alle drei Tore selber geschossen“, was ob der schon angesprochenen überlegenen, aber eben nicht zwingenden Spielweise des AFC unglücklich anmutete. Auf die Frage nach Konsequenzen wurde auf eine interne Aufarbeitung der Ereignisse verwiesen.
Das alles aber konnte die Helden des Abends nicht mehr stören. Egal ob `Bald-AFC-ler`, `Bald-Sonstwas` oder noch Suchender – sie hatten allesamt Charakter gezeigt. Und diese Tatsache ist tausendmal mehr wert als jede Summe, die ihre Nachfolger im DFB-Pokal verdienen können!
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