18.08.2009 Ein legendärer Abend am Millerntor von Henrik Diekert
FC St. Pauli II – Hallescher FC : 1:1 (0:0)
FC St. Pauli II: Schenk – Hinzmann, Krause, Theißen, Biermann – Kalla – Browarczyk, Bourgault, Winkel (84. Zekiri) – Filipovic (56. Laban), Kurzynski Hallescher FC: Horvat – Benes, Lachheb, Mouaya, Sieber – Schubert (82. Hauk), Finke – Kanitz – David, Stark (64. Hebestreit) – Neubert (74. Müller) Tore: 0:1 Finke (52.), 1:1 Winkel (67.) Schiedsrichter: Siebert (FC Nordost Berlin): Das war souverän. Zwei umstrittene Abseitsentscheidungen seiner Assistenten gingen nicht auf sein Konto. Beste Spieler: Kalla, Filipovic – Finke, Schubert Zuschauer: 1655
Was für ein Abend am Millerntor! Erst bewiesen die Nachwuchskräfte ihre Regionalligatauglichkeit eindrucksvoll, dann erschütterten die Profis den neuen Aachener Tivoli in seinen Grundfesten. Selbst den Neutralsten, sogar den mit der größten Antipathie ausgezeichneten Zuschauer dürfte der FC St. Pauli an diesem Abend verzaubert haben. Es sind die Geschichten, die in diesem Stadion geschrieben werden, die den Kiezclub zu etwas besonderem machen. In den vier ein viertel Stunden zwischen 18 und 22.15 Uhr am Montag- Abend bekam das Millerntor zahlreiche neue Legenden hinzu. 1655 Zuschauer besuchten das Spiel gegen den Aufstiegskandidaten aus Halle an der Saale, so viele Leute konnte Altona 93 im letzten Jahr nicht ein Mal an die Hoheluft locken. Sie sahen eine totlangweilige erste Halbzeit, in der Schenks Parade gegen Halles Finke noch die spektakulärste Szene war. Ansonsten lebte das Spiel von der tollen Stimmung, die beide Fangruppen (rund 200 Zuschauer aus Halle) machten. Außer ein paar Idioten im Gästeblock, die ihren Verein in der ersten viertel Stunde mit „Zick Zack Zigeunerpack“- Rufen zu unterstützen glaubten, lieferten beide Lager eine ansprechende Konversation, deren Highlights St. Paulis „Hamburger Wetter“-Sänge bei einsetzendem Gewitter und die Halleschen „Licht an“-Forderungen kurz zuvor waren, als trotz dunkler Wolken das Flutlicht noch nicht eingeschaltet war. Mit der Erleuchtung kam in den zweiten 45 Minuten auch die Action auf den Platz: Halles Pavel David zirkelte einen Freistoß knapp über Paulis Tor (48.), ehe Finke vier Minuten später für die Gästeführung sorgte. Nico Kanitz spielte eine Ecke von links und der Spielmacher spitzelte den Ball durch das allgemeine Strafraum- Gewühle ins Tor. Für St. Pauli fungierte der Gegentreffer wie ein Wecker, plötzlich wurde leidenschaftlich um jeden Ball gekämpft. Bourgaults schönen Volley-Schuss aus 20 Metern konnte Horvat noch parieren (52.), ehe Winkel nach tollem Solo-Lauf in der 67. Minute zum Ausgleich verwandelte. Ob Horvat in dieser Szene dem Ball entgegen kommen musste oder auf der Linie besser ausgesehen hätte, sei dahin gestellt. Zehn Minuten vorher hatte Halle noch die riesen-Möglichkeit zum 2:0, als Krause einen unnötigen Rückpass auf Schenk spielte, aber David erst per Freistoß, und nachdem die Mauer den Ball abgefangen hatte, per Nachschuss scheiterte. In der hektischen Schlussphase hatte David Sieber die letzte Großchance des Spiels, als er aus 20 Metern über das Tor schoss. Auf den Rängen sorgte für größere Aufmerksamkeit, dass die Halleschen Busse wegen eines „Defekts“ nicht die Heimreise antreten konnten, und die Gästefans daher erst mit der U- und dann mit der Bundesbahn nach Hause fahren mussten. Nach dem Spiel stellte sich heraus, dass auf dem Weg nach Hamburg in den Vehikeln randaliert worden war, und die Fahrer sich weigerten die Rückfahrt anzutreten. Kurz vor Schluss konnten St. Paulis Anhänger dann noch einmal vom Hamburger Wetter singen, als plötzlich die Spränkleranlage an ging und das Spiel für mehrere Minuten unterbrochen wurde. Die Funkmikrofone des MDR hatten die Zeitschaltuhr am Millerntor außer Betrieb gesetzt, wie Stadionmanager Sven Brux nach der Partie erklärte. „Ein geiles Gefühl, gleich in meinem ersten Regionalliga-Spiel ein Tor zu schießen. Gegen diesen Gegner ist ein Punkt sicherlich ein Erfolg, der uns Selbstvertrauen gibt“, sagte der glückliche Torschütze Stefan Winkel nach dem Abpfiff. Sein Coach Jörn Großkopf hatte dem nicht viel hinzuzufügen: „Ich bin hochzufrieden. Meine Mannschaft hat ein Durchschnittsalter von 21 Jahren, der Gegner von 28. Da kann ich dem Team für diese Leistung nur ein riesen Kompliment machen.“ Sein Kollege Sven Köhler wirkte überrascht, angesichts des starken Auftritts der im Vorfeld als Abstiegskandidat gehandelten Kiezkicker: „Das Unentschieden geht in Ordnung, es war ein kampfbetontes Spiel in dem wir zu umständlich agiert haben.“ Für die meisten Zuschauer ging die echte Party aber erst ab 20.30 richtig los. Während der Übertragung des Spiels der Pauli-Profis am neuen Aachener Tivoli blieben für rund fünf Minuten die Bilder weg, als das technische Problem behoben war brach angesichts des nicht gesehenen 1:0 durch Ebbers sofort ohrenbetäubender Jubel im Clubheim los. Der sollte bis lange nach Holger Stanislawskis Interview zum 5:0-Sieg nicht mehr enden, und noch viel länger klangen „You`ll never walk alone“ und „We love St. Pauli“- Gesänge über die Reeperbahn.
Die Nachricht des in Aachen schwer verunglückten St. Pauli-Fans erreichte die Zuschauer im Clubheim zunächst nicht.
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