24.08.2009 Rückblick: Ehm, Steinbrecher und die Verfolger von Mirko Schneider
Wir schreiben den Sommer 2020. Bert Ehm sitzt im ZDF–Sportstudio, moderiert vom unvermeidlichen Michael Steinbrecher. „Herr Ehm, Sie sind gerade mit dem SC Victoria zum 14. Mal in Folge Meister geworden. Ein unerreichter Rekord im Sport auf der ganzen Welt. Wie kann so was sein? Erklären Sie uns mal, woher ihre Mannschaft die Motivation nimmt?“ Ehm (klagend): „Ach wissen Sie, seit unser Verein eine Liga höher einen persönlichen Ordner für jeden Zuschauer stellen müsste und drei Ausweichstadien mit Kunstrasen, haben wir die Hoffnung auf den Aufstieg aufgegeben.“ Steinbrecher: „Schlimm, in der Tat. Haben Sie denn noch Ziele?“ Ehm (versucht sich in Euphorie): „Klar. Meister werden nächstes Jahr. Und Amateur–Pokalsieger.“ Steinbrecher: „Immer noch mit Roger Stilz im Mittelfeld? Unser geschätzter Kollege wurde Ende März 43 Jahre alt.“ Ehm: „Roger ist mein verlängerter Fuß auf dem Spielfeld. Er wird die Mannschaft weiter führen, was auch nötig ist. Schließlich könnte uns Meiendorf gefährlich werden…“ Das Publikum lacht. Ehm (ringt um Fassung): „Sie haben ja recht. Es ist alles so traurig…“
An dieser erschütternden Stelle blenden wir uns aus und beruhigen unsere geschätzten Leser: Noch hat sich „Vicky“ nicht tot gesiegt. Aber blickt man auf die aktuelle Tabelle, so kann anscheinend nur noch eine Macht die Dominanz der Victorianer brechen. Ihr Feld ist der Schreibtisch und sie heißt DFB. Nicht mal die Spiele, in denen der Gegner klasse spielt, verliert der SC Victoria noch. Abgezockt besiegte man Wedel am Freitagabend mit 3:1. Schon wieder fünf Punkte Vorsprung. Die vierte Meisterschaft in Serie lässt grüßen.
„Aber Meiendorf ist doch noch da“, werden die auf Spannung Hoffenden einwenden, von der Hoheluft jedoch ein müdes Lächeln ernten. Zum einen gab es gegen den SV Lurup die ersten Punktverluste für den MSV, zum anderen steht Meiendorf genau da, wo sie in der Saisonabrechnung zuletzt immer standen: auf Platz 2. Nicht, dass das schlecht wäre. Die Arbeit von Lutz Göttling ist klasse. Aber sie führt (bisher) nicht auf den fest zementiert zu scheinenden Thron der Oberliga Hamburg.
Hinter Meiendorf, welches noch ein Nachholspiel beim SC Concordia in petto hat, reihen sich einige Teams unterschiedlichster Coleur mit ebenfalls sieben Zählern ein. Der Tabellendritte aus Niendorf musste eine empfindliche erste Liga–Niederlage gegen den neuen Tabellenfünften aus Curslack hinnehmen. Bei den Gästen funktioniert das Zusammenspiel des neuen Sturmduos Matthias Reincke (zwei Vorlagen) und Christian Spill (eine Vorlage, einmal geknipst) immer besser und ihr Torwart Torsten Schönsee wurde zum Helden und Propheten. Verletzt hielt er einen Elfer von Tamer Dönmez – und danach die komplette Spielzeit durch. Dass „Niendorf uns in der zweiten Hälfte nicht mehr so beschäftigt“, hatte er wohl geahnt. Deren Trainer Carrel Segner wünschte sich derweil weniger (belastenden) Zuspruch seiner Kollegen: „Die anderen Trainer reden uns doch bewusst stark. Würde ich bestimmt auch machen.“ Auf die Frage nach der wahren Stärke seines Teams verwies er auf das Endklassement. Ähnlich äußerte sich übrigens Thomas Seeliger von Altona 93 (momentan Vierter) nach dem 2:0 seiner Jungs gegen Buchholz 08: „Wir sind nicht der Favorit, zu dem man uns macht“, ließ er verlauten. Die Frage, wer (außer Meiendorf natürlich) „Vicky“ jagen soll, wird so immer ratloser gestellt werden müssen, denn HR (6.) und Condor (7.). ist ein solcher Husarenritt trotz sehr respektablen Starts wohl nicht zuzutrauen. Nach dem 4:2 der Condoraner bei Bergedorf stellt sich jedoch die Frage, ob die Truppe von Trainer Mike Breitmeier in diesem Jahr den Titel „Haben die Experten am Besten doof aussehen lassen“ holen kann. Von Abstiegskampf ist bisher am Berner Heerweg jedenfalls keine Spur zu sehen.
Am Lütten Hall bei HR auch nicht, wo der SC Concordia ein 1:1 holte und gemeinsam mit Norderstedt (1:1 bei Oststeinbek) Platz 8 und 9 belegt. Da machen sich also noch zwei Teams auf, den Prognosen zu trotzden. „Cordi“ ist immer noch ungeschlagen und hat noch besagtes Spiel gegen Meiendorf in der Hinterhand. Norderstedt holte selbst in einer von Trainer Marco Krausz ironisch als „brutales Spiel“ gebrandmarkten Partie einen Punkt in Oststeinbek und scheint mit seinem Jugendstil einer beruhigten Saison entgegen zu schippern. Während sich Wedel auf Platz 10. trotz der Niederlage an der Hoheluft gut akklimatisiert hat und Lurup trotz des Punktes bei Meiendorf (12.) noch Luft nach oben hat, durfte sich auf Platz 11 ein Aufsteiger über den ersten Dreier freuen. Lohbrügge besiegte Uetersen mit 2:1. Ein Schelm, wer Böses dabei dachte, denn exakt so lautete das Ergebnis im Aufstiegsendspiel der letzten Saison zwischen den beiden damaligen Landesliga–Teams. Richtig überzeugen konnte Lohbrügge bisher allerdings nicht, aber das konnten sie im damaligen Entscheidungsspiel auch nicht. Hier gilt also: entscheidend ist über dem Strich.
Dort stehen mit vier Punkten auch der USC Paloma und der TSV Buchholz 08. Die Elf aus der Nordheide musste in zwei Wochen erkennen, wie schnelllebig die Liga am Anfang ist. Die unerwartete Heimniederlage gegen HR und das eher erwartbare 0:2 bei Altona spülten die Jungs von Thomas Titze von Platz 3 auf 14. Einen Platz drüber findet sich der USC Paloma wieder. Unter der Woche holte man sich an der Brucknerstraße die heiß begehrten Nachverpflichtungen. Die Aidara–Brüder hatten zwar bei ihrer Kündigung in Niendorf verlauten lassen, wohl nicht in Hamburg bleiben zu wollen, aber wer kann schon dem Palomatischen Grand widerstehen? Mohamed spielte gleich, Bruder Kassim kam später, die Punkte waren nach dem Abpfiff im Sack.
4:0 gewann man das Derby gegen BU. Dort, auf dem vorletzten Rang, herrscht momentan eine seltsame Mischung aus Sarkasmus und Optimismus vor. Während der „Barmbeker Pöbel“ beim Stand von 0:3 in Anbetracht der letzten Auswärtsdarbietungen „Nur noch eins“ skandierte und nach dem Spiel unbedingt „die Mannschaft sehen“ wollte, gab sich Frank Pieper erst wortkarg und später optimistisch: man wolle weiter mehr als 50 Punkte sammeln. Na dann man tau – einen mehr als der bisherige Allesverlierer TSV Uetersen am Tabellenende hat man ja schon.
Bleiben noch zwei weitere Teams mit drei Punkten auf den Abstiegsrängen, deren Aussichten unterschiedlicher kaum sein könnten. Während der FC Bergedorf 85 nach einer erneuten 2:4–Heimniederlage auf Platz 16 meilenweit hinter den Erwartungen zurück bleibt, beißt sich Oststeinbek auf Rang 15 in der Liga fest. Einer Auftaktniederlage in Lurup folgten drei Unentschieden, zuletzt das gegen Norderstedt. Da letztes Jahr 30 Punkte und ein einigermaßen akzeptables Torverhältnis zum Klassenerhalt reichten, könnte eine stetige Fortsetzung dieser Serie einen neuen Klassenerhalts–Rekord bedeuten, damit „Vicky“ am Schluss der Saison nicht alle Titel holt. Obwohl, einmal könnte man ja schon gewinnen, um die Bilanz völlig auszugleichen. Vielleicht auswärts mit einem schönen 4:2 in Bergedorf…
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