Er ist ein Mann des feinen, des hintersinningen Humors. Wenn Bergedorfs Trainer Manfred Nitschke zu seinen Betrachtungen über das Spielgeschehen ansetzt, entgeht den Zuhörern oft die eine oder andere Pointe. Er spricht, macht zwischen den Wörtern lange Pausen, und manch einer meint, das Ende des Satzes zu kennen – aber er verpasst, wenn er abschaltet, eine philosophische Weisheit, eine geschickte Spitze, einen kleinen ironischen Seitenhieb. Es lohnt sich also, ihm immer bis zum Ende zuzuhören, dem Trainerfuchs von den Sander Tannen. Und heute, ja heute lohnte es sich noch einmal extra. Der hochverdiente und technisch teilweise exquisit herausgespielte 3:1-Sieg gegen den SV Halstenbek-Rellingen machte Nitschke derart gute Laune, dass er sich von seiner humoristisch besten Seite zeigte.
Nachdem Halstenbeks Co-Trainer Andreas Hermeling (Thomas Bliemeister war der Pressekonferenz fern geblieben) bekannt hatte, dass wir „nie Linie in unser Spiel bekommen haben“ und auch in seinen sonstigen Worten kaum Lobenswertes für die Gäste erwähnen konnte, meinte Nitschke: „Man muss auch einfach mal sagen: Das 1:0 hat Jan Landau geil gemacht. Das ist gar kein Fehler von euch. Da könnt ihr gar nichts machen.“ Auf Nachfrage, ob der Spielzug zum 2:0 nicht ebenso „geil“ war, stimmte Nitschke zu: „Ja, weil er fußballähnlich war. Und wir haben ja gestern gesehen: Manchmal reicht dir ein toller Spielzug und du fährst zur WM. Übrigens fand ich unseren Schiedsrichter Herrn Braun besser als diesen Schweizer gestern.“ Schließlich war noch der HFV dran, der Neuzugang Rinik Carolus erst ab Januar die Spielerlaubnis erteilen wird, was den „Elstern“ sauer aufstößt: „Der Vorsitzende des HFV meinte neulich, der Herr Carolus müsse ja nur noch drei Monate waren. Ich habe nachgezählt. Sind gar nicht mehr drei Monate. Es geht voran.“ Zum Abschluss gabs noch einen Ausflug in die Burger-Abteilung: „Ich freue mich sehr, dass bei uns ein Spieler das 3:1 mit dem Kopf gemacht hat, der kaum eine Handbreit größer ist als ein Big Mäc.“ (die Rede war von Fatih Gürel).
Wenn Manfred Nitschke derart gelöst loslegt, muss vorher etwas Besonderes passiert sein – und so war es auch. Zwar wird dieses Spiel nicht in die Geschichtsbücher eingehen, doch Bergedorf rief sein Potenzial ab und das ergab schlicht schönen Fußball. Auch den von Deran Toksöz verschossenen Foulelfmeter – Sören Warnick hatte den Ball vertändelt und Gürel war im Anschluss gelegt worden – steckten die „Elstern“ weg. Sie brauchten ein wenig, um weitere Torgefahr zu versprühen, aber dann ging es los. Mohamed Mansour verzog nach schöner Kombination einen Schuss aus zwanzig Metern gut zwei Meter vorbei (20.), Fatih Gürel bediente Jan Landau, welcher Elfmeterheld Dennis Schultz anschoss (22.) und wiederum Gürel lief nach einem horrenden Abwehrfehler alleine auf Schultz zu. Das Umkurven funktionerte, der Abschluss nicht (30.).
Dies sollte sich ändern. Fünf Minuten später spielten sich Mansour und Landau tief in der eigenen Hälfte per Doppelpass frei. Es folgte ein atemberaubender mansourischer 50-Meter-Sprint, begleitet von Landau. Als Mansour am gegnerischen Sechzehner vor lauter Lauferei erst noch seine Füße sortieren musste, übernahm sein Doppelpasspartner, tanzte den Rest der Abwehr aus und lupfte den Ball genial ins Netz. Das war wunderschön, doch „wunderschön“ bekam noch einen Bruder namens „traumhaft“. Er entstand so: Martin Sobczyk passte tief aus der eigenen Hälfte an die Mittellinie auf Gürel, der per "No-Look-Pass" Toksöz in Szene setzte. Der sprintete gegen ein völlig verdattertes HR durch bis zum Strafraum, legte genau im richtigen Moment quer auf Landau und der wiederum chippte den Ball an die Unterkante der Latte und von dort ins Netz (39.). Von diesem Spielzug kann sich Bayern München in der derzeitigen Verfassung locker zwei Scheiben abschneiden.
Das Spiel war aber merkwürdigerweise nicht gelaufen, denn HR erzielte mit seiner ersten echten Chance den Anschlusstreffer. Sascha Richerts Ecke verlängerte der wie ein Fremdkörper wirkende Antonio Ude mit seiner einzigen guten Tat per Kopf zu Warnick. Der durfte ihn zwei Meter vor der Kiste locker wie im Training rein machen. Kurz darauf schien dies mehr als ein Warnschuss zu sein. Wiederum Richert brachte den Ball, diesmal von halblinks, herein, und ausgerechnet der kleine Ali Arslan köpfte ihn per Aufsetzer an den Außenpfosten (61.)
Das war Bergedorf nicht geheuer und so legten sie wieder einen Zahn zu. Erst kam Gürel bei einer zu hohen Flanke nur mit der Hand an den Ball und sah für seinen Täuschungsversuch die Gelbe Karte (62.). Um ihn vor Gelb-Rot zu bewahren flankte Landau vier Minuten später genauer und Gürel gewann durch kluges Stellungsspiel das Kopfballduell gegen Warnick! 3:1 – der „Big Mäc“ hatte erbarmungslos zugeschlagen.
Der Rest war Technik und Spielen für die Galerie. HR hatte nichts mehr zu bieten außer zwei harmlosen Fernschüssen und wurde von Schultz in der letzten Minute noch vor dem 1:4 bewahrt. Marcel Rodrigues‘ Geschoss parierte er meisterhaft. Blieb also nur noch, Manfred Nitschkes Worten zu lauschen, was wie bereits erwähnt ein wahrer Genuss war. Inklusive Nitschkes letztem Bonmot: „Wenn ich meine Jungs im Training sehe, wie sie spielen, das ist schon eine Wucht. Neulich liefen nach einer Kombination zwei alleine auf den Torwart zu. Da sage ich `Donnerwetter, ihr könnt vielleicht Fußball spielen`. Was machen die? Schießen den Ball an den Pfosten. Aber das üben wir auch noch.“
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