01.11.2009 Ein Sieg für die Liga! von Henrik Diekert
Altona 93 – SC Victoria 1:0 (0:0)
Altona 93. : Schau – Ansorge (85. Bugrov), Savelsberg, Kappler, Aktan – Clausen, Nadj – Smereka, Algan (90. Alewell) – Becken, Bektas (87. Hadid) SC Victoria: Wolf – Meyer, Eybächer, Asante, Möbius – Stilz, Trimborn – Melich (75. Vierig), Akgül (66. Erman) – Rahn, Hamurcu Tore: 1:0 Nadj (72.) Schiedsrichter: Lennart Dornieden (Papenburg): Licht und Schatten. Litt unter seinen schwachen Assistenten die einige male zu schnell die Fahne hoben, hätte außerdem Becken schon im ersten Durchgang die gelbe Karte zeigen müssen. Verpasste einige Gelegenheiten auf Vorteil zu entscheiden. Machte aber bei den zahlreichen Beinahe-Rudelbildungen eine gute Figur. Beste Spieler: Schau, Kappler, Becken - Wolf Zuschauer: 1798 (1194 Zahlende) Besondere Vorkomnisse: Thomas Seeliger wurde auf die Tribüne verwiesen (87.).
Altonas Urgestein Volker Kuntze-Braack strahlte über das ganze Gesicht, schüttelte alle Hände die er zu fassen bekam und war die Seeligkeit in Person. Der Seeliger in Person, nämlich AFC-Trainer Thomas, machte mit seiner Mannschaft und rund 500 Zuschauern die Welle, umarmte die Spieler und bekam seine Arme kaum wieder neben den Körper, so leidenschaftlich riss er sie immer wieder in die Luft. Es war tatsächlich passiert. Nach 21 Partien (19 Siege, zwei Unentschieden) hatte der Hamburger Meister und Liga-Krösus SC Victoria ein Fußballspiel verloren. Für die Regionalliga-Absteiger aus Altona war es der größte Triumph seit langer Zeit, eine Erlösung und eine ungeahnte Bestätigung der eigenen Stärke.
Denn die Abwehr, die in den letzten beiden Spielen insgesamt sechs Tore zugelassen hatte, vereitelte an diesem Sonntag alles, was die Herren Rahn, Stilz oder Hamurcu probierten.
Von der ersten Minute an merkte man: Dies war für beide Kontrahenten kein Spiel wie jedes andere. Beide Offensiv-Reihen hielten sich zurück, es wurde gelauert. So war die einzige spannende Szene in der ersten viertel Stunde der Zweikampf zwischen Vicky-Keeper Dennis Wolf und Altonas Stürmer Pierre Becken, der zu spät das Bein zurückzog. Nach kurzer Pause ging es für des Meisters Schlussmann weiter.
Die Unterbrechung kam auch den zahlreichen Zuschauern entgegen, die als der Anpfiff ertönte, noch in den Schlangen vor den Kassenhäuschen standen. Obwohl das Spiel mit fünf minütiger Verspätung begann, waren erst um 14.15 alle Fans im Stadion. Altona hatte nämlich groß eingeladen, allen Jugendlichen Vereinsmitgliedern aus der Fußballabteilung freien Eintritt geschenkt. So kamen 1798 in die Adolf-Jäger-Kampfbahn, was das Spitzenspiel zum bestbesuchten Oberligaspiel des Jahres machte. Komisch nur, dass die 20 Mitglieder des Vicky-Fanclubs „Nordkaos“ über weite Strecken mehr Radau machten als die Altonaer Anhänger, die nur einmal in 90 Minuten ihren „91,92,93“-Schlachtruf anstimmten (und noch vor der 93 unterbrochen wurden, da sie lieber eine Schiri-Entscheidung mit Pfiffen quitierten).
Die erste Möglichkeit des Spiels hatten die Gastgeber: Nachdem Berkan Algan sich auf der linken Seite bis an die Grundlinie durchgetankt hatte, vergab Becken per Volley-Schuss aus 16 Metern (19., drüber). Das Spiel blieb taktisch geprägt. Schiri Dornieden nahm Altona eine gute Möglichkeit, als er entschied lieber David Eybächer schnell die gelbe Karte zu zeigen, anstatt auf Vorteil zu entscheiden (20.).
In der 28. Minute kam dann, nach einem Distanzversuch von Algan, endlich Feuer ins Spiel. Es wurde gefoult, gemeckert – und endlich auch offensiver Fußball gespielt. Und das taten vor allem die Gastgeber: Nach einer halben Stunde behinderte Michael Meyer Algan beim Torschuss, drei Minuten später klärte Wolf gegen Becken, der somit eine Smereka-Flanke über den ganzen Platz nicht verwerten konnte.
Kurz vor der Pause wurde es hektisch. Nach 43 Minuten parierte Olli Hinz (ist gesperrt)-Ersatzmann Christian Schau einen Versuch von Michael Meyer, im direkten Gegenzug konnte Wolf erst gegen Algan halten, und entschärfte dann auch noch den abgefälschten Nachschuss von Tibor Nadj. In der Nachspielzeit war Vickys Torhüter dann noch einmal gefordert, hielt großartig gegen Becken.
Der zweite Durchgang war wieder mehr von kleinen Fouls und Nicklichkeiten, als begeisterndem Angriffsfußball geprägt. Altona erspielte sich zwei Möglichkeiten, von denen Bektas eine vorbei schoss (68.), und Nadj eine verwandelte. Der Mittelfeldmann konnte eine Bektas-Hereingabe von der rechten Seite verwerten, und die Zeichen damit auf AFC-Sieg stellen. Der Meister ließ ein echtes Aufbäumen vermissen, einzig ein Schuss von Erman ans Außennetz in der Nachspielzeit, hätte beinah noch ein Unentschieden bewirkt. Auf der anderen Seite war es Wolf zu verdanken, dass Altona nicht höher gewann: Er parierte einen Schuss von Becken mit einer grandiosen Fußabwehr (82.).
„Da habe ich auf meine alten Tage nochmal den Sprint gezogen. Der Sieg war wichtig für uns und für die ganze Oberliga“, freute sich Torschütze Tibor Nadj nach dem Schlusspfiff. Sein Mannschaftskollege Christian Schau holte sich nach dem Spiel das berechtige Lob der eigentlichen Nummer eins Olli Hinz ab. „Das war unglaublich aufregend, mein erstes Oberliga-Spiel von Anfang an, und dann so eine Kulisse. So etwas habe ich noch nie gefühlt“, sagte der Auswahl-Keeper.
Und auch der Mann mit dem Doppelherz hat das Spiel seiner beiden Clubs gegeneinander gut verkraftet: „Das war ein tolles Event mit vielen Zuschauern. Sicherlich das schönste Amateur-Spiel, dass ich seit langer Zeit gesehen habe. Bei Altonas Tor habe ich nicht gejubelt, heute war ich neutraler Beobachter“, so Ronald Lotz nach dem Abpfiff.
Bert Ehm schien nicht erschlagen von dem neuen Gefühl, eine Niederlage erklären zu müssen: „Glückwunsch an Altona, der Erfolg war verdient. Mir war klar, wer das erste Tor schießt, gewinnt das Spiel. Es kann nicht sein, dass wir hier ausgekontert werden, beide Torhüter waren überragend. Man kann jetzt natürlich darüber spekulieren, ob die Taktik falsch war, aber wir wollten hier mitspielen. Der Kampf ist wieder eröffnet.“
Thomas Seeliger war nach seinem wohl größten Sieg als Trainer glücklich: „Spielentscheidend war die Leistung meiner Mannschaft, die sich hier den Hintern aufgerissen hat. Da möchte ich garkeinen hervorheben. Wir wollten, dass die Liga wieder spannend wird, aber sieben Punkte sind noch eine Menge Holz.“
Und als Retourkutsche bekam Bert Ehm dann auch noch sein Zitat aus der Vorwoche um die Ohren gehauen: „Altona hat also doch die Kohle, und die Punkte hier behalten“, so „Seele“ schmunzelnd.
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