19.04.2010 Rückblick: Alle Wendehalsfähnchen in den Wind gehangen von
„Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern!“ Kein Geringerer als unser erster Bundeskanzler Konrad Adenauer soll diesen Satz geprägt haben. Die Legende geht so, dass das Thema der Wiederbewaffnung der Deutschen Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre den Adenauer zu diesem Ausspruch trieb. Zuerst war Adenauer der Meinung gewesen, dass eine Wiederbewaffnung nach dem Zweiten Weltkrieg nicht anstrebenswert sei, ein Jahr darauf trat er genau für das Gegenteil ein, wodurch er seine eigene Aussage korrigierte. „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern!“, soll ihm damals in diesem Zusammenhang über die Lippen gekommen sein. Ein schöner Satz, der einem das Leben ein wenig einfacher erscheinen lässt. Egal was ich heute sage, morgen kann es schon wieder anders sein. Eine gewisse Wendehalsmentalität lässt sich nicht verleugnen, aber das Fähnchen weht halt so schön im Wind. Letzte Woche war es gewesen, da wurde in dieser Rubrik verlautbart, dass Lohbrügge und Uetersen es nicht schaffen werden („Auf Nachbeben wurde allerdings verzichtet“ vom 12. April 2010). Ziemlich am Ende wurde diese Mutmaßung aufgestellt und mit einem gewissen Selbstbewusstsein niedergeschrieben. Und eine Woche später haben sich die beiden Abstiegskandidaten zwar nicht endgültig gerettet, aber sie ließen Lebenszeichen in die Luft steigen. Im Falle des TSV Uetersen waren es sogar zwei Rauchmeldungen, obwohl man ja mit diesen Worten in dieser Zeit vorsichtig sein muss. Der Aufsteiger klammerte sich unter der Woche an den letzten Strohhalm und besiegte das andere ultimative Kellerkind aus Lohbrügge mit 2:1. Puh, da konnten die Ehlers-Schützlinge erstmals wieder durchatmen und den honigsüßen Geschmack des Sieges kosten. Aber wenn man einmal Blut geleckt hat, dann will man mehr, da bilden Fußballer keine Ausnahme. Das nächste Kellerkind stand auf dem Speiseplan, es ging an die Flurstraße. Die Uetesener nutzten dabei die Schwäche der Luruper aus, die gegen die unmittelbare Konkurrenz um den Klassenerhalt meistens sehr schlecht aussahen. Dagegen wurde Victoria daheim geschlagen und in einem Nachholspiel auch der Meiendorfer SV. Dies führte dazu, dass die Luruper wieder über dem Abstiegsstrich flanieren. Sie hätten sogar punktetechnisch zu den Wedelern aufschließen können, doch der TSV-Treffer Mahdi Habibpur nach einer guten Stunde machte dieses Vorhaben zunichte. Somit schaffte Uetersen wieder den Anschluss und darf wieder von einem weiteren Jahr Oberliga träumen. Und der Rückblickianer wird den Teufel tun, den TSV abzuschreiben. Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.
Wo wir beim Thema sind. Lohbrügge, eigentlich auf Ewigkeit (oder zumindest bis zum Saisonende) als Letzter der Tabelle in Stein gemeißelt, gewinnt ein Spiel. Kein Freundschaftsspiel, kein Trainingsspiel, nicht im Backgammon oder beim Ching, Chang, Chong, nein, ein richtiges Ligaspiel. Halleluja, dass man das nochmals erleben darf. Man muss den Niendorfern danken, dass sie mal wieder ihr zweites Gesicht gezeigt haben. Nämlich dieses, welches sie in jüngerer Vergangenheit öfters zeigten. Denn Niendorf kann nicht nur in Unentschieden investieren, sondern auch leidenschaftlich gegen Kellerkinder daheim verlieren. Lurup lässt grüßen. Aber gegen Lohbrügge ist das nochmals ein Extralob wert. Habt Ihr gut gemacht, Ihr vom Sachsenweg! Schluss jetzt aber mit der Häme und Ironie. Lohbrügge ist zwar noch weit davon entfernt, gehobene Ansprüche im Abstiegskampf anzumelden, immerhin beträgt der Rückstand zum rettenden Ufer sieben Zähler. Aber trotzdem zeigt es dem Rest der Hamburger Fußballwelt, dass der VfL noch lebt und nicht als Kanonenfutter für die restlichen Wochen gelten möchte.
Das macht das alles für den Rest in der dunklen Höhle nicht leichter. Schon gar nicht, wenn die Concorden meinen, bei schwachen Wedelern nicht punkten zu müssen. Wenn der schreibende Redakteur beim Nachdenken, wer denn von beiden Mannschaften jeweils die besten Spieler waren, zu dem Entschluss kommt, dass der gute Herr Ehlert insgesamt alleine der Beste auf dem Platz war, dann ist das so. Das Problem ist nur, dass das der Schiedsrichter war. Ein Novum in der hafo-Historie. Zumindest solange, bis das Gegenteil bewiesen ist. Und wenn ja, Konrad Adenauer eben. Generell spricht dieses aber nicht für das Niveau der Auseinandersetzung. Zurück zu den Concorden, die sich erst vor kurzem gegen Curslack von der allgemeinen Aufbruchsstimmung im Keller anstecken ließen und gewannen. Ein Sieg in Wedel und die Sager-Eleven wäre auf ein Pünktchen dran gewesen. So strampelte sich jedoch der Aufsteiger frei und steht trotzdem vor einer ungewissen Zukunft. Manager Detlef Kebbe ist nun nicht mehr Manager, fast die halbe Mannschaft zieht es nach Pinneberg. Personelle Kontinuität über mehrere Jahre sind anders aus, aber das ist wahrlich nicht nur ein Wedeler Problem, sondern zieht sich fast ausnahmslos durch die gesamte Landschaft.
Fehlt eigentlich nur noch ein Sorgenverein, der auf den Namen Halstenbek-Rellingen hört. Die Schleswig-Holsteiner stehen zwar im Pokal-Halbfinale, allerdings auch auf einem Abstiegsplatz. In Oststeinbek gab es für HR beim 0:2 nichts zu erben. Tolle Derbys winken dem Traditionsverein. „Derbys gegen den VfL Pinneberg und den SV Rugenbergen sind doch auch ganz schön“, ließ sich Vereinsvorsitzender Hans Jürgen Stammer zitieren. Stimmt, die Hertha freut sich auch schon total auf das Derby gegen Union Berlin. Total toll, bringt jede Menge Spaß. Echt erstrebenswert. Natürlich waren die Halstenbeker ein wenig platt. In Rugenbergen gingen sie im Viertelfinale über die volle Distanz und mussten zwei Tage später wieder antreten. Leistungsförderlich ist etwas anderes. Zumindest die Auslosung für das Halbfinale stimmte Halstenbek positiv, es geht gegen Camlica Genclik.
Verlassen wir das Dunkel des Classements und wenden uns der schnöden Eintönigkeit an der Tabellenspitze zu. Auch an dieser Stelle muss sich die Rückblick-Rubrik mehrmals auf die eigenen Finger hauen. Wider besserem Wissens versuchte die RR, Spannung im Meisterkampf aufzubauen. Versuchte sich einzureden, dass zumindest ein Verfolger so konstant auftreten würde, dass die Victorianer ins Schwitzen kommen werden. Versuchte sich zudem einzureden, dass Vickys Krise länger andauern werde. Und wenn dann die Brocken Altona oder Buchholz auf den Serienmeister warten, dann wird es um alles gehen. Um Ruhm und Ehre und den Titel. Aber eigentlich wusste die RR es besser. Victoria würde sich wieder fangen und vornehmlich alles gewinnen, von ganz wenigen Unentschieden mal abgesehen. Aber für den Titel wird es schon reichen. Die Verfolger sind höchstens Verfolger, die mit einem unscharfen Fernglas ausgestattet sind und noch nicht mal die Richtung wissen, wo sich die Ehmlinge befinden. Also mal Butter bei die Fische. Victoria wird Meister, keine Frage und keine Widerworte. Am Freitag gewannen die Hohelufter gegen keinesfalls schwache Palomaten mit 3:2. Sie rangen und spielten sie nieder. Sie erzielten dann die Tore, als sie sie brauchten. Nein, keiner wird Victoria vom nächsten Titel abhalten.
Wie denn auch? Buchholz hat ein Spiel mehr auf der Kappe und sechs Punkte Rückstand. Zumal es nicht der Anspruch der Niedersachsen ist, dem Platzhirschen das Revier bis zum Äußersten streitig zu machen. In Norderstedt holten die Buchholzer ein 1:1, mussten dabei den späten Ausgleich per Elfmeter hinnehmen. Für die Heidestädter ist so ein Ergebnis kein Beinbruch, für etwaige Meisterschaftsillusionisten natürlich schon. Der Abstand zum SCV ist einfach zu groß. Am ehesten könnte eigentlich noch Altona 93 dem Spitzenreiter auf die Pelle rücken. Zwar liegen sie acht Zähler hinter dem ersten Platz, jedoch haben die AFCer eine Begegnung weniger ausgetragen. Aber mal ganz ehrlich, auch wenn die 93er in Bergedorf mit 1:0 gewannen, von der Form aus den Herbstmonaten im Jahre 2009, in denen Altona alles zu gelingen schien, sind sie weit entfernt. Der nächste Ausrutscher kommt bestimmt. Die große Chance im Pokal wurde ja auch weggeworfen.
Ganz verabschiedet hat sich aus dem Titelrennen, falls es so etwas überhaupt mal gab, der Meiendorfer SV. Nach den beiden Erfolgen bei Victoria und gegen Uetersen laufen die MSVer der Musik hinterher. Zwei magere Unentschieden in Barmbek und gegen Niendorf stehen Niederlagen in Lurup und neuerdings bei Condor gegenüber. Das sind zwei von möglichen zwölf Punkten. Sie dürfen selber ausrechnen, wo sich der MSV befinden würde, wenn er halbwegs vernünftig gepunktet hätte. So wird es also wieder nichts mit der Meisterschaft. Condor hingegen entledigte sich zum wiederholten Male aller Abstiegssorgen und zeigte sich dabei von einem frühen Rückstand weitaus weniger beeindruckt, als man es sich hätte vorstellen können.
Barmbeks Trainer Thomas Hoffmann merkt relativ früh, wie schwer es sein kann, eine Mannschaft so sehr zu motivieren, dass sie auch dann alles bis zum Umfallen gibt, auch wenn sie der Meinung ist, in Bezug auf einen Abstieg passiere sowieso nichts mehr. „Mit 33 Punkten steigt man in der Oberliga ab. Und mit der Einstellung, die wir heute an den Tag gelegt haben, steigen wir auch ab.“ Da musste sich Hoffmann nach dem dürftigen 0:1 in Curslack erstmal Luft machen. Beide Theorieansätze mögen stimmen, zumindest punktetechnisch wird sich das wissenschaftlich am Ende der Spielzeit überprüfen lassen. Doch so schlimm wird es schon für BU nicht kommen, die schaffen das. Und wenn nicht, kümmert den Rückblick doch dann nicht das Geschwätz vom 19. April.
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