27.10.2010 Gescheitert, aber gefeiert! von Henrik Diekert
präsentiert:
SC Victoria – Vfl Wolfsburg 1:3 (0:1)
SC Victoria: Ludewig – Theißen (65. Melich), Bajramovic, Asante, Kim (79. Abou Khalil) – Trimborn, Stilz – Meyer (59. Schulz), Lauer – Rahn - Hamurcu Vfl Wolfsburg: Hitz – Riether, Madlung, Barzagli, Schäfer – Pekarik, Josue´ (62. Kahlenberg), Cicero – Diego (72. Ziani) – Mandzukic, Grafite (72. Hasebe) Tore: 0:1 Pekarik (17.), 0:2 Josue´ (52.), 0:3 Schäfer (55.), 1:3 Rahn (71.) Schiedsrichter: Christian Leicher (SV Neuhausen): Verweigerte beiden Mannschaften je einen Elfmeter, ansonsten in Ordnung. Beste Spieler: Asante, Trimborn, Stilz - Keiner Zuschauer: 8370
Edinaldo Batista Libânio, genannt Grafite (wie auch immer man das jetzt ausspricht), hat in 87 Bundesligaspielen für den Vfl Wolfsburg 55 Tore erzielt. Im Sommer hat er mit der Brasilianischen Nationalmannschaft an der Weltmeisterschaft in Südafrika teilgenommen. Jonah Asante wechselte 1997 aus der A-Jugend von Sankt Pauli zu Altona 93, seit 2004 spielt er für den SC Victoria. Er arbeitet als Versicherungskaufmann. Grafite wird bis zum DFB-Pokalspiel der Wolfsburger beim SC Victoria noch nie etwas von Jonah Asante gehört haben, in der Nacht nach dem Aufeinandertreffen, dürfte er von ihm träumen. Denn die Leistung von Vickys Innenverteidiger steht sinnbildlich dafür, wie Fußballer in großen Spielen über sich hinaus wachsen können. In der ersten Halbzeit sah der Superstar und Millionär keinen Stich gegen Asante, nach einer halben Stunde nahm der Defensive ihm auf der Außenbahn fast spielend den Ball vom Fuß, zehn Minuten später wurde er vom 30-Jährigen Ghanaer ins Toraus gedrängt, kam deshalb nicht frei zum Abschluss. Es sind Bilder wie diese, die nach einem der größten Abende in Victorias Vereinsgeschichte hängen bleiben. „Es war einfach überragend und hat richtig Spaß gemacht. Gegen so einen Gegner sieht man, wo seine Grenzen sind, und heute gab es eigentlich keine Grenzen. Ich denke ich habe gut gespielt, wir müssen jetzt hart arbeiten, um nächstes Jahr wieder hier stehen zu können“, strahlte Asante, als er als letzter Vicky-Spieler das Feld am Millerntor verließ. Auch sein Trainer Bert Ehm lobte in den höchsten Tönen: „Jonah war heute überragend, eine eins plus.“
Gewonnen hat der haushohe Favorit aus dem Oberhaus des deutschen Fußballs trotz der großartigen Leistung von Asante und seinen Mitstreitern, die sich aber mit allem was sie hatten in dieses Spiel stemmten. Und wenn nach 17 Minuten nicht das unglückliche 0:1 gefallen wäre, wer weiß, wie dieser Abend geendet hätte? Marcel Schäfer flankte von links in den Strafraum, Peter Pekarik lief Kim Bumjoon davon und köpfte am langen Pfosten ein. Florian Ludewig, der ansonsten tadellos agierte, hätte das Tor vielleicht mit einem beherzten Satz nach vorn verhindern können.
Doch Vicky ließ sich durch den Rückschlag nicht vom Weg abbringen, bei Standards ließen sich die „Hausherren für einen Tag“ viel Zeit, organisierten sich immer wieder neu, standen in der Abwehr meistens sicher. Nach 25 Minuten verlor Dennis Theißen den Ball vor dem Strafraum der Wolfsburger, die Gäste konterten, Grafite passte auf Diego, dem Roger Stilz das Leder mit einer beherzten Grätsche vom Fuß nahm. „Das tat einfach gut, Diego den Ball wegnehmen, und dann hats auch noch schön geknallt. Wir können stolz sein, haben ein gutes Spiel geboten und dürfen heute Abend zwei Bier mehr trinken“, so der Motor und Co-Trainer des Hamburger Meisters nach dem Abpfiff.
Nicht nur Roger Stilz und Diego wurden auf dem Platz keine Freunde, auch mit den Fans verscherzte es sich die Zaubermaus kurz darauf, als er gegen Theißen zu Fall kam und einen Elfmeter haben wollte. Auch wenn er ihn verdient gehabt haben sollte, skandierte Vickys „Nordkaos“ bei vielen seiner Ballberührungen in der Folgezeit „Diego Du A….loch , das ganze Millerntor pfiff ihn gnadenlos aus.
Ein harmloser Kopfball von Peter Pekarik, der den verletzten Edin Dzeko vertrat, landete direkt in Ludewigs Armen (44.), das war es schon mit Torchancen der Gäste in Durchgang eins.
In der zweiten Halbzeit wurde relativ schnell deutlich, dass die Sensation ausbleiben würde. 52. Minute: Diego behauptet den Ball gegen Victorias Defensive und legt zu Josue´ ab, dessen herrlicher Schlenzer vom Innenpfosten ins Tor prallt. Drei Minuten später haut Marcel Schäfer den Ball nach Doppelpass mit Grafite aus schwierigem Winkel in die Maschen, macht den Sack zu.
Doch Ehms Truppe zerfiel nicht, zog ihr Spiel weiter konzentriert auf und hatte tatsächlich zwei Torchancen. In der 64. Minute ist Ahmed Hamurcu frei vor dem Tor, wird aber kurz vor dem Abschluss von Andrea Barzagli zu Fall gebracht, wie bei Diego zuvor bleibt auch hier der Elfmeterpfiff aus. Es folgt der schönste Moment des Abends: Sven Trimborn mit einem Traumpass in den Lauf von Stephan Rahn, der von links seinen zweiten DFB-Pokal-Treffer, nach dem Siegtor in der ersten Runde gegen Oberhausen, erzielt. Für Verwirrung sorgt Stadionsprecher Peter Kraft, der von Jan Lauers 1:4 spricht, die Technik machte Probleme und die umsitzenden Polizisten flüsterten der Legende am Hoheluft-Mikro den falschen Torschützen zu. Nichtsdestotrotz kannte der Jubel im gut gefüllten Millerntor und auf dem Rasen keine Grenzen. Zu Schluss scheiterte Cicero noch aus kurzer Distanz an Ludewig (88.), sodass die Amateure dem ambitionierten Bundesligisten mit nur zwei Toren Differenz unterlagen, und am Morgen danach erhobenen Hauptes an ihren Arbeitsplätzen erscheinen können.
„Klar ist Wolfsburgs Sieg verdient, aber wir haben eine Leistung geboten, die sich sehen lassen konnte. Bis zum 0:1 haben wir den Gegner sehr gut im Griff gehabt, ein ärgerliches Gegentor, aber wir haben die Zuschauer begeistert. Wir können alle zufrieden sein“, erklärte Bert Ehm nach dem Abpfiff. Der Coach konnte auch mit Pressesprecher Oliver Sextro zufrieden sein, der sich für ihn auf die Jagd nach einem Diego-Autogramm gemacht hatte, und die PK daher verpasste. Präsident Helmut Korte übernahm für ihn die Leitung und sorgte für ein wenig Gelächter, als er Steve McLaren ein herzliches „good luck“ für die leistung seines Teams aussprach. „In 45 Jahren Funktionärstätigkeit ist dies einer der schönsten Tage. Meine letzte Pressekonferenz habe ich vor 20 Jahren nach einem 0:5 gegen Leverkusen geleitet, daher entschuldigen Sie bitte mein schlechtes Schulenglisch“, lachte der Vicky-Boss. Steve McLaren äußerte sich abwechselnd in radebrechendem Deutsch und mit einem Dolmetscher auf Englisch: „Victoria hat das gut gemacht, aber wir haben gewonnen, das war sehr wichtig. Wegen des Gegentores war ich enttäuscht, aber die Einstellung meines Teams war sehr gut. Ich mag den Pokal, jetzt sind es nur noch drei Siege bis Europa, aber in einem verrückten Spiel hätte auch hier alles passieren können“, analysierte der Coach der Wölfe.
Mächtig stolz auch Vicky-Manager Ronald Lotz: „Ein rundherum gelungener Abend, schön das die Arbeit von so vielen gekrönt worden ist. Nach der Auslosung hatte ich vielleicht mit doppelt so vielen Zuschauern wie gegen Oberhausen gerechnet, aber dank der Kampagnen im Internet war die Resonanz traumhaft. Als ich den Anruf eines Bekannten bekam, es gäbe keine Karte mehr, war ich der glücklichste Manager der Welt.“
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