24.10.2011 Rückblick: Catch as Condor can von Folke Havekost
Es ist eine vertrackte Sache: Man spürt ein flaues Gefühl im Magen, weiß nicht so recht, was man sagen soll, möchte vielleicht vor lauter Glück in die Luft springen und fragt sich doch, ob das Schicksal es wirklich so gut mit einem meinen kann.
Sie kennen das? Natürlich, es ist eines der ältesten und schönsten Dinge, die der Mensch kennt: Es ist die Tabellenführung.
Wie eine flinke Vogelfängerin schlich sie sich an den SC Condor ran. Und wen sie einmal will, ist da nicht viel zu machen. Die Farmsener wehrten sich tapfer, aber vergeblich. Gegner VfL Pinneberg erhielt Chance über Chance, nutzte aber nur eine – zu wenig, um das flügellahme Flattern der zweimal treffenden Raubvögel an die Oberliga-Spitze zu vermeiden. Ein Raubvogel ist auch in Schwächephasen gefährlich: Catch as Condor can, hieß die Devise – die Gäste hatten wenig vom Spiel, aber griffen bei sich bietender Gelegenheit gnadenlos zu.
„Es gibt keinen Spieler, der annähernd seine Normalform erreicht hätte“, zog Condor-Trainer Meik Ehlert Bilanz: „Es ist wirklich komisch, nach einem solchen Spiel Spitzenreiter zu sein.“ Aber einer muss es ja sein, und ein wenig Trost hatte Ehlert dann doch noch parat: „Wir haben aber auch schon gezeigt, dass wir eine sehr gute Oberliga-Mannschaft sein können.“
Nur eben in Pinneberg nicht. Deren Trainer Michael Fischer war so bedient, dass er auf der Pressekonferenz erstmal scherzhaft „Whiskey auf Eis, großes Glas, ohne Cola“ orderte: „Meine Mannschaft tut mir leid, sie hat ganz hervorragend gespielt. Wenn Schalke damals Meister der Herzen war, müssten wir Tabellenführer aller Herzen sein.“ Für den Aufsteiger ist das ärgerlich, aber nicht gar so schlimm. Denn die Tabellenführung ist eine anspruchsvolle Braut. „Viele Mannschaften sind mit der Tabellenführung ja nicht zurechtgekommen, vielleicht schafft Condor das ja besser“, blickte Fischer auf ereignisreiche Oberliga-Wochen zurück.
Vier dieser Wochen immerhin lag Germania Schnelsen an der Spitze. Germanen-Coach Jens Paeslack war im Heimspiel gegen den SV Rugenbergen ganz Pädagoge. „Guter Ball, Marin!“, „Sehr schön, Wolle!“, „Gut gemacht, Rick!“, „Weiter, weiter, weiter, Rahner!“ – mit seinen Zurufen von der Seitenauslinie war Paeslack ein Spielerlotse: immer darauf bedacht, seine Schützlinge heil durch drohende Gefahrensituationen zu bringen. War löblich, hat aber nicht so viel gebracht. Mit der dritten Niederlage aus den letzten vier Begegnungen musste sich Schnelsen erstmal von ganz oben verabschieden. Und manchmal werden selbst Spielerlotsen, eigentlich die Geduld in Menschengestalt, sauer: Nach Buchholz ist es von Schnelsen ein weiter Weg, einige seiner Schützlinge vom Freitag wird Paeslack wohl nicht dorthin führen, sondern ihnen „spielfrei“ verordnen. Der SV Rugenbergen hingegen gewinnt endlich auch die knappen Spiele, wie Verteidiger Tim Vollmer erfreut feststellte. Nicht nur gegen Paloma, sondern nun sogar beim (bisherigen) Spitzenreiter.
Zwischen Condor und Germania hat sich der eindrucksvollste Sieger des Wochenendes geschoben, bei dem von „knapp“ keine Rede sein konnte. Altona 93 feierte ein triumphales 4:0 bei Eintracht Norderstedt, das auch der nicht gerade zu Superlativen neigende Trainer Oliver Dittberner „ein erfreuliches Ergebnis“ nannte. Die Tabellenführung entschied sich nach langem Zögern schließlich doch, Condor ihre Gunst zu erweisen, doch damit werden die Altonaer leben können. Zumal sie die einzige Mannschaft waren, die am 13. Spieltag ohne Gegentor blieb. Eintracht-Coach Andreas Prohn, lange Jahre in Altona, tätig, fiel da kurz nach dem Abpfiff nicht viel ein: „Ich weiß nicht woran es lag, es gibt solche Tage.“
Wir sind uns sicher, dass Prohn mittlerweile mehr weiß und das seiner Mannschaft auch verdeutlichen wird. Schließlich können Niederlagen, richtig verarbeitet, auch eine Quelle des Fortschritts sein. Der Motivation sowieso. Beim Oststeinbeker SV, der nach seinem Heim-1:2 gegen Bergedorf 85 wieder auf einen Abstiegsplatz gerutscht ist, war Trainer Stefan Kohfahl deshalb ungewohnt gut gelaunt und konzentrierte sich in seinem Kommentar nicht auf Schiedsrichter Thomas Bauer, dem er sicherlich eine starke Leistung attestiert hätte. Sondern ganz auf die eigene Mannschaft. „Was wir hier in drei Monaten geschaffen haben, ist großartig“, bilanzierte der Coach und frohlockte: „Ich sehe uns nicht mehr als Abstiegskandidaten.“ Dem Mutigen gehört die Welt, die Siegern sowieso gefällt: Bergedorf 85 hat gerade zu Beginn der Serie schon genug Niederlagen erlebt und freute sich entsprechend auf den Sieg. Schließlich steht am Mittwoch der Verhandlung zweiter Teil der „causa Victoria“ an, an dem Tabellenplatz sechs vom Verbandsgericht vermutlich bestätigt wird.
Die Elstern liegen damit einen Rang vor der einzigen Mannschaft, die erst zwei Niederlagen auf ihrem Konto verbuchen musste. Doch Buchholz 08, das ausgerechnet gegen die Aufsteiger Sasel und Vierlande verlor, gewinnt einfach zu selten. Der späte Gegentreffer zum 1:1 beim USC Paloma verhinderte große Sprünge. „Die Leistung war in Ordnung, das Ergebnis nicht“, fasste Trainer Thomas Titze das Geschehen zusammen. Auf der Stelle tritt auch Buchholz’ alter Rivale SC Victoria, der gegen Aufsteiger SC Vier- und Marschlande ebenfalls eine eigene Führung nicht über die Zeit retten konnte. Die Schlagzeile „Vicky glänzt“ bezog sich an diesem Wochenende allein auf Skiläuferin Viktoria Rebensburg, die zum Söldener Schneesportsaisonauftakt im Riesenslalom reüssierte.
Trotz des einziehenden Hamburger Herbstes sind wir froh, uns nicht auf Skiern einen Berg hinab stürzen und dabei auch noch verwirrenden Fähnchen ausweichen zu müssen. Viel lieber schauen wir uns in aller Ruhe etwas gar nicht Verwirrendes an und stürzen uns dafür nach Curslack-Neuengamme. Wohin auch sonst? Curslack, na klar, gewinnt zuhause, wenngleich der siebte Sieg im siebten Heimspiel durchaus mit Mühen verbunden war. Erst ein langer Einwurf von Kapitän Marco Theetz brach am Samstag den Bann gegen bis dahin geschickt verteidigende Billstedter.
Ansonsten war der Samstag ein Tag, an dem 3:0-Führungen in Gefahr gerieten, indem die scheinbar Geschlagenen auf 3:2 verkürzten. Abstiegskandidat Meiendorfer SV war danach cleverer (und auch ein bisschen glücklicher) als die potenzielle Spitzenmannschaft Niendorfer TSV. Der NTSV ließ sich von Schlusslicht Sasel tatsächlich in der Schlussminute noch das 3:3 einschenken. Die Saseler schrieben damit nach dem 5:0 gegen Buchholz ihre zweite denkwürdige Parkweg-Geschichte. Vielleicht ja auch eine Motivationsspritze, um den nach wie vor vorhandenen Fünf-Punkte-Rückstand auf Platz 15 anzugehen.
Dank eines starken Torwarts Tobias Sävke brachte der MSV dagegen die Führung nicht nur über die Runden, sondern konnte durch ein Eigentor der Gäste zum 4:2-Endstand dem Schlusspfiff sogar beruhigt entgegen sehen. Zuhause haben die Kicker von der B 75 auch schon Pinneberg geschlagen, gilt für die Meiendorfer etwa: Holsteiner bevorzugt? Dagegen spricht immer noch das bittere 3:4 bei den Stormarnern aus Oststeinbek. Aber zumindest der Kreis Pinneberg hat es der Stuhlmacher-Elf angetan. Am nächsten Samstag steht für die neuformierte Mannschaft mit dem SV Rugenbergen die dritte PI-Aufgabe auf dem Lehrplan, dann geht’s allerdings nach Bönningstedt. Ob den auswärtsschwachen Meiendorfern, die auf Reisen erst einen Punkt ergatterten, dann tatsächlich der Hattrick gelingt?
Wenn die derzeit im Kreis Pinneberg residierende Glücksgöttin Lieblingsfarben hat, dann bestimmt. Schließlich schüttete sie ihren Kelch schon reichlich über die schwarz-gelben Condoraner aus. "Fortuna, wir kommen!", darf also die Parole der nächsten Auswärtsfahrt des schwarz-gelben MSV lauten. Nur auf die Tabellenführung muss Meiendorf wohl doch noch ein bisschen länger warten.
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