14.05.2012 Rückblick: "Ich will nicht nach Barsbüttel" von Folke Havekost
Der Hamburger ist ein seltsamer Zeitgenosse. Einmal im Jahr feiert er, dass er nah am Wasser gebaut hat und die großen Schiffe nicht mehr wie einst Eisberge, sondern nur noch sich gegenseitig küssen. Ist die Elbe mal trüb, freut er sich, dass es noch langweiligere Städte gibt als die eigene. Bielefeld, Berchtesgarden oder Berlin. Zumindest letzterer Flecken wird zwar ab und zu großherzig verteidigt, zum Beispiel von Silke Burmester ( http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/a-832736.html), aber warum hat sich denn der Deutsche Fußball-Bund extra einen Pokalwettbewerb ausgedacht, um den gepflegten Ball zumindest einmal im Jahr auch in entlegenen Orten vorbeischauen zu lassen?
Als gute Hamburger gingen wir am Sonnabend weder zum Pokalfinale noch zum Hafengeburtstag, sondern ins Westwerk zu ein paar Kummer-Künstlern aus dem nicht ganz so langweiligen Chemnitz. Die wollen uns nämlich helfen, weil sie glauben, dass wir vor Berlin Angst haben: „Es hat sich bis ins tiefste Sachsen herumgesprochen, dass Großkünstler und Musikschaffende die Hansestadt verlassen, die Fertigstellung der Elbphilharmonie immer weiter verschoben wird und sogar der große Schlagersänger Lindenberg einen Umzug nach Berlin androht.“ ( http://www.westwerk.org/Westwerk/morgen/Eintrage/2012/5/12_Jan_Kummer_files/Chemnitz%20trifft%20Hamburg%20-%20Westwerk.pdf).
„Chemnitz zeigt’s Hamburg“, heißt die Veranstaltungsreihe, die noch zwei Wochenenden lang Entwicklungshilfe geben will. Der Künstler Jan Kummer zeigte seine Bilder in der Ausstellung „Inflationsheilige und Kohlrabi-Apostel“, und seine beiden Söhne Felix und Till konzertierten anschließend mit ihren drei Mitstreitern als „Die Kosmonauten“. Ihr herkömmlicher Name „Kraftklub“ war angesichts der bevorstehenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wohl nicht neutral genug. „Ich will nicht nach Berlin“ ( http://www.youtube.com/watch?v=K0rEQHbo7PQ&feature=related), gaben also die jungen Musiker zum Besten, als dort Dortmund gerade feierte. Am Tag danach hörte sich das schon ganz anders an. „Ich will nicht nach Barsbüttel“, vernahmen wir aus Halstenbek, als der Oststeinbeker SV sich mit einem 2:0-Auswärtssieg gegen ein Stormarner Landesliga-Derby zur Wehr setzte.
Der vermutlich verlorene Sieg gegen Altona 93 ließ den OSV ab Freitag mit den denkbar schlechtesten Karten in den Abstiegskampf gehen. Doch siehe da: Ein Konkurrent nach dem anderen verlor, und schon vor dem Anpfiff in Halstenbek hatte die Kohfahl-Elf den Klassenerhalt wieder in eigener Hand. Danach sowieso, schon nach acht Minuten jubelten die Gäste zum ersten Mal, und in vier Tagen schon kann die Konkurrenz überflügelt werden.
An den Meesen reisen dann die Bönningstedter, und wer einen Film über den Endspurt des Palapies-Teams drehen wollte, würde ihn wohl „Ratlos in Rugenbergen“ nennen. Das Heim-1:3 gegen Norderstedt war das sechste sieglose Spiel in Folge. Rugenbergen wähnte sich nach den 1:0-Erfolgen über Oststeinbek und Curslack im April vielleicht zu früh in Sicherheit, das punktgleiche Gegenstück dazu ist der USC Paloma. Wer unter Aufbietung aller Kräfte ans rettende Ufer geschwommen ist, tut sich oft schwer damit, auch noch eine wetterfeste Strandhütte zu bauen. Nach ihren Erfolgswochen verloren die Tauben sang- und klanglos 0:3 beim SC Condor. „Abstiegskampf ist nicht nur körperlich, sondern auch mental sehr anstrengend“, sucht Trainer Marco Krausz noch nach soliden Baumstämmen für die Strandhütte: „Heute fehlten uns leider ein paar Prozent, wir müssen dringend unsere Akkus wieder aufladen.“
Bekommt Oststeinbek seine Punkte doch noch zurück, dann stünde Paloma wieder da, wo es schon über Monate stand: auf dem besten Abstiegsplatz. Zwei Gelegenheiten haben die Tauben noch, aber das Holz wird knapp. Am Freitag kommt der SC Vier- und Marschlande, der nur zwei Punkte mehr auf seinem Konto weiß, aber doch trotz Niederlage ein Gewinner des Spieltags ist. Der Aufsteiger hatte mit Nachbar Curslack den klar schwersten Gegner aller Abstiegskandidaten, musste am Freitag vorlegen und spielte „mit dem Herz in der Hose“ (Trainer Benjamin Scherner) auch noch gut.
Der Tabellenzweite konnte sich nach seinem 2:0 jedenfalls bei Torwart Frederic Böse bedanken, dass er Spitzenreiterin Victoria nach wie vor auf den Fersen ist. Dem „Sport-Mikrofon“ verriet Böse, dass er nur „ein paar Mal angeschossen“ worden sei, aber in diesem Fall war Bescheidenheit kein taugliches Mittel zur Beschreibung von Realität. „Freddy hat uns den Sieg gerettet“, übernahm CN-Coach Torsten Henke diesen Part. Und uns hat er die Spannung im Titelkampf gerettet. Öde war gestern und hat den Abflug aus Berlin verpasst. Dort steht die Volkssport-Gemeinschaft Altglienicke trotz einer Heimniederlage gegen den SV Empor drei Runden vor Schluss als Stadtmeister fest.
Nur noch eins … mit einem Heimsieg gegen Niendorf könnte sich Curslack das Meisterschafts-Endspiel an der Hoheluft sichern. Der kommende Gegner hat allerdings auch einen guten Rückhalt. So herausragend wie Böse, wenngleich mit nicht so großer Bedeutung fürs Tableau, präsentierte sich Niendorfs Keeper André Tholen, der nur von einem Strafstoß bezwungen wurde und größten Anteil am 2:1-Sieg seiner Elf im Mittelfeldduell gegen den VfL Pinneberg besaß.
Doch zurück zum Meisterschaftskampf. Vicky durfte am Freitag die Lizenzerteilung für die Regionalliga und damit den Aufstieg feiern – und tat dies mit einem, nun ja, standesgemäßen 6:0 gegen Schlusslicht Sasel. Damit war auch der vorletzte Konkurrent abgehängt, denn Bergedorf 85 verlor 1:3 bei Altona 93, hat nun auch rechnerisch keine Chancen mehr. Victorias Doppel-Torschütze Benny Hoose war in der Schlussminute so nett, Sasels Torwartikone Holger Sander noch einen Elfmeter halten zu lassen. Auch das ein gutes Training, denn vielleicht müssen die Hohelufter ja noch ganz viele Elfmeter schießen, wenn das Pokalfinale gegen Germania Schnelsen in 120 Minuten keine Entscheidung bringt. Die Schnelsener lieferten beim 3:1 in Billstedt einen lockeren Aufgalopp, sie kamen besser durch als das im Stau steckende Schiedsrichtergespann aus Niedersachsen, das erst mit 15-minütiger Verspätung anpfeifen konnte.
Viele Germania-Spieler verlassen den Verein im Sommer, aber ihr Hunger dürfte erst mit dem Pokalsieg gestillt sein. Dass die Spieler des Meiendorfer SV nicht auch hungrig seien, konnte schon am Freitag wirklich niemand behaupten. Als der MSV Freunde, Förderer und auch uns zum Grillen einlud, trainierte die Mannschaft satte anderthalb Stunden in Sicht- und Riechweite zum glühenden Rost. Ein genialer Schachzug der Verantwortlichen: Mit übermäßigem Appetit hielt die MSV-Elf sich knappe 48 Stunden später in der Nordheide schadlos und sicherte sich den Klassenerhalt. Sein Team habe „mit viel Herz gewonnen“, sagte Trainer Matthias Stuhlmacher hinterher. Mit viel Hunger bestimmt auch.
Nur eines blieb den Meiendorfern versagt. „Ich will nicht nach Buchholz“, konnten sie nun wahrlich nicht anstimmen.
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