26.05.2012 Rückblick: Nicht nur die Liebe ist blind von Folke Havekost
Zugegeben: Als wir an dieser Stelle die Beastie Boys, Kraftklub, David McWilliams und Johnny Cash auflaufen ließen, hätten wir uns nicht vorstellen können, uns einmal beim Eurovision Song Contest zu bedienen. Da wir nach jüngsten Eingaben die Spielberechtigung der oben Genannten aber nicht zweifelsfrei feststellen konnten, setzen wir nun auf etwas ganz Solides. „Nimm was aus dem Grand-Prix-Kader, das geht immer“, haben uns Juristen vom ganz alten Schlager geraten. Hier also unsere Aufstellung für den heutigen Spieltag:
SV Rugenbergen: Engelbert Humperdinck, „Love Will Set You Free“ (Großbritannien) Der wackere Oldtimer Arnold Dorsey alias Engelbert Humperdinck meint, zu seinem Lied könne man(n) Kinder zeugen. Wir glauben nach wie vor, dass die Geburtenrate eher bei kaputten Decodern oder gehacktem YouTube steigt, aber seit Mittwoch sind die Plattenverkäufe zumindest in Bönningstedt angestiegen. „Vertrau deinen Träumen, lauf ohne Angst“, singt der Altmeister, und zumindest am 34. Spieltag musste der SV Rugenbergen nicht mehr zittern. Dass das Palapies-Team zwischendurch einmal dachte, schon alle Sorgen los zu sein, spricht ja nicht gegen Engelbert. Der würde sein Lied in Baku auch gerne zweimal singen.
USC Paloma: Rona Nishliu, „Suus“ (Albanien) Rona Nishliu hat sich früh auf den Song Contest vorbereitet und ihr Kostüm schon in der Winterpause beim USC Paloma bestellt. Wer sich noch erinnert, wie die Tauben damals aussahen, wird von ihrem Outfit weniger überrascht sein. Den Text hat sie auch an einem langen Winterabend im Clubheim an der Brucknerstraße geschrieben, und, tja, das letzte Bierchen muss wohl nicht so gut gewesen sein: „Morgen wird nichts bringen als hoffnungslose Hoffnung und Wahnsinn.“ Der neue Trainer Marco Krausz begrüßte die alten USC-Spieler danach zum Glück mit anderen Worten. Mit einer furiosen Aufholjagd blieben die Barmbeker der Oberliga enthalten, traten in der Schlussphase gegen Curslack sogar technisch ungewöhnlich stark auf, als hätten sie sich an Nishlius Stimme ein Vorbild genommen. Wahnsinn!
Oststeinbeker SV: Donny Montell, „Love is blind“ (Litauen) Nicht nur die Liebe ist blind, wie uns Donny Montell erzählt. Auch Justitia trägt eine jener Binden um die Augen, die Montell sich während seines Vortrags herunterreißt und im Anschluss akrobatische Vorführungen darbietet. Ob Musik die Welt verändern kann, wissen wir nicht; die Tabell jedenfalls kann sie nicht verändern. Der Oststeinbeker SV mag sich noch so sehr auf den Kopf stellen: Seine Zukunft heißt Landesliga.
Germania Schnelsen: Maya Sar, „Korake Ti Znam“ (Bosnien-Herzegowina) Oh je. Der Vortrag von Maya Sar lässt uns zunächst befürchten, eine Windmaschine sei das wichtigste Musikinstrument der Gegenwart. Genug Wind gab’s in Schnelsen in der Hinrunde auch, schließlich wehte er sogar Trainer Jens Paeslack vom Rieckbornweg. Dabei ist genug Qualität auf jeden Fall vorhanden, bei den Germanen wie bei Frau Sar. Die Sängerin komponiert sonst für Filme, ihre Piano-Ballade kann sich durchaus hören lassen. Licht und Schatten also, und wir vertagen unser Urteil mal ganz bequem: Wie das Stück endet, entscheidet sich ohnehin erst mit dem Pokalfinale am Pfingstmontag.
SV Curslack-Neuengamme: Buranowskije Babuschki, „Party for Everybody“ (Russland) Russland ist ein großes und weites Land. Fast so weit wie die Vierlande, die nur leider nicht über eine teilnahmeberechtigte Rundfunkstation verfügen. Stimmungsmäßig ist Curslack-Neuengamme kaum zu schlagen. „Boom, boom – Party for Everybody“, singen die russischen Großmütter dazu, die auch schon in den schlechteren Tagen am Gramkowweg waren (Ja, es gab einen SVCN vor Torsten Henke!). Dass selbst die in der Vereinssatzung gar nicht vorgesehene Stadtmeisterschafts-Party in der Szene lange als Geheimtipp gehandelt wurde, unterstreicht die Meriten, die sich der Verein erworben hat. Oder, um es mit der udmurtischen Passage des Liedes auszudrücken: „Die Katze ist froh, der Hund ist froh, wir haben alle wunderbare Laune.“ Und der abtretende Matthias Reincke ist immer noch Lieblingsschwiegersohn jeder Babuschka.
Vorwärts-Wacker Billstedt: Greta Salóme & Jónsi, „Never Forget“ (Island) Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hält nicht viel von Vorwärts-Wacker Billstedt: „Die Sonne wird bestimmt wieder aufgehen. Tut sie aber nicht. Es bleibt dunkel.“ Ach nein, das war doch der Kommentar der Hessen zum isländischen Beitrag. Zu Billstedt passt er ja auch gar nicht, denn für VW ging es in den vergangenen Jahren andauernd rauf und runter, rauf und runter. Diesmal wieder runter, wie es sich für eine Fahrstuhlmannschaft eben jedes zweite Jahr gehört. Das lässt sich nicht vergessen, ist aber auch ein Trost für alle isländischen VW-Fans: Fahrstühle sind wie Sonnen, nur nicht ganz so romantisch.
Meiendorfer SV: Ivi Adamou, „La La Love“ (Zypern) Zusammengewürfelte Haufen werden oft schief angesehen. Wer bekennt sich schon zu einer gecasteten Band, selbst wenn er oder sie deren Melodien fröhlich summt. Auch Fußballmannschaften werden von vielen am liebsten als jahrelange verschworene Gemeinschaften gesehen, nicht als Aufeinandertreffen von Kickern, die mehr oder weniger zufällig auf dem gleichen Bahnsteig gelandet sind. Oder auf dem gleichen Streckenabschnitt der B 75: Meiendorfs Coach Matthias Stuhlmacher castete und trainierte sich eine Mannschaft zusammen, die erstaunliche Oberligareife an den Tag legte: „Team’s what you make it.“ Der Lalala-Märchenpop der zyprischen Casting-Gewinnerin Ivi Adamou ist nicht ganz so aufregend wie Yinar Ronal Arboleda Sanchez, erinnert aber entfernt daran, dass auch am Deepenhorn eine verwunschene Schönheit liegen könnte.
Bergedorf 85: Nina Zilli, „L’amore è femmina“ (Italien) Italien blieb dem Eurovisions-Festival lange fern, weil es auf dem Stiefel genügend nationale Musikwettbewerbe wie San Remo gibt. Seit vorigem Jahr erst sind die Azzurri wieder dabei. Auch bei Bergedorf 85 gab es ein langes Hin und Her: Regionalliga ja oder nein? Ist die Oberliga eigentlich wirklich schön? An den Sander Tannen wird oft auch eine ganz eigene Sprache gesprochen. Aber Vorsicht: Was auf Italienisch oft schön klingt, ist auf Bergedorferisch manchmal mit Misstönen verbunden. Fußballerisch klangen die Elstern dagegen sehr stimmig: Zwei Niederlagen (Liga, Pokal) beim SC Victoria innerhalb von nur einer Woche verhinderten den Griff zu den Sternen, die Schlussspurtvizemeisterschaft vor Curslack entschädigte für vieles. Und unter dem sternenlosen Hallendach stimmte so manche Elster in den Gesang von Nina Zilli ein: „L’amore è futsal.“
Niendorfer TSV: Ott Lepland, „Kuula“ (Estland) Ein männlicher Einzelkämpfer mit klassischer Ballade. Vielleicht nicht gerade der letzte Schrei, aber bestimmt ein guter Ton ... normalerweise hätten wir den estnischen Beitrag dem SC Concordia zugeordnet, aber der ist ja nun leider nicht mehr dabei. Nehmen wir also den Niendorfer TSV, seit 2004 dabei und damit auch schon ein halbes Urgestein der Oberliga. Nicht nur der Trainer und „Kuula“-Typ Frank Hüllmann wird sich über Platz acht und das beste Abschneiden in der Vereinsgeschichte gefreut haben. Der NTSV hat offenbar das Zeug zum Klassiker.
VfL Pinneberg: Tooji, „Stay“ (Norwegen) 2:1 in Sasel, dem Gegner das 100. Gegentor eingeschenkt und die letzten theoretischen Zweifel daran beseitigt, wer denn nun „die Nummer eins im Kreis“ ist. Für den VfL Pinneberg hieß es trotz durchwachsener Rückrunde am Wochenende kräftig feiern. Damit die Kopfschmerzen am nächsten Morgen noch mal so schön sind, empfehlen wir das eingängige Disko-Geboller von Tooji.
SC Vier- und Marschlande: Mandinga, „Zaleilah“ (Rumänien) Kubaner mit Dudelsack für Rumänien? Mandinga sorgen für die eine oder andere Überraschung und leben ansonsten von ihrer mannschaftlichen Geschlossenheit. Da horchen wir als Zuschauer kurz auf, wie wir einen Aufsteiger auch nach dem ersten Spieltag als Co-Tabellenführer registrierten, und merken doch bald, dass „ganz oben“ nicht der Anspruch sein kann. „Zaleilah“ ist die passende Mucke zum Freibier bei der Klassenerhaltsfeier des SC Vier- und Marschlande.
Buchholz 08: Soluna Samay, „Should’ve Known Better“ (Dänemark) Statt Gestampfe Frau mit Klampfe: Ihren beschwingten Folk-Song entwickelte Soluna Samay, als sie Buchholz 08 von einer Meldung für die Regionalliga überzeugen wollte. „Should've known better“, dachte sie sich nach ihrem Besuch, denn das war trotz aller fußballerischen Klasse natürlich vergebliche Liebesmüh. Ganz umsonst darf ihr Bemühen aber auf keinen Fall gewesen sein: Ihre nächste Fairplay-Prämie sollten die Nordheidjer unbedingt in die Sammel-Anschaffung von Samays Matros(inn)enmütze investieren.
Altona 93: Eleftheria Eleftheriou, „Aphrodisiac“ (Griechenland) Zwei Weisheiten sind unumstößlich: Griechenland kriegt zwölf Punkte aus Zypern und Altona bekommt drei Punkte aus Oststeinbek. Das den Vortrag dominierende „Oh, oh, oh, oh, oh“ kam auch den Altona-Fans in der Rückrunde des öfteren über die Lippen, so lethargisch wie ihr Team über weite Strecken auftrat. Der von Trainer Oliver Dittberner angestrebte Umbau ist beit weitem noch nicht beendet, und es bleibt nur zu hoffen, dass dem Coach von seiner Mannschaft nicht eine der wenigen Zeilen von Eleftheriou an den Kopf geworfen bekommt: „Du lässt mich tanzen wie ein Verrückter.“
TSV Sasel: Loreen, „Euphoria“ (Schweden) „Nicht einmal für Schuhe hat es gereicht“, lästert „Spiegel Online“ über Loreen, die uns wohl irgendwie daran erinnern will, dass Schweden im düsteren Norden des Kontinents liegt. Ihr wilder Bühnenauftritt wird eigentlich nur durch die Musik gestört, wie auch der TSV Sasel mit dem Fußball zunehmend schlechter zurecht kam. Was von Loreen ausgedrückt werden soll, ist zumindest in jeder Sekunde klar: die verzweifelte Frage, ob das hier wirklich die richtige Bühne ist.
SC Condor: Can Bonomo, „Love Me Back“ (Türkei) Eine gefällige Gute-Laune-Mischung, bei der wir uns gemütlich zurücklehnen können? Was der SC Condor manchmal über anderthalb Stunden schafft, gelingt Can Bonomo immerhin drei Minuten lang. Nach den ersten Wertungen dürfte Bonomo vorn liegen, am Ende aber auch über einen siebten Platz zufrieden sein. Am Ende lieben wir uns halt alle zurück. Und wir gratulieren dem SC Condor noch einmal zur Herbstmeisterschaft!
SV Halstenbek-Rellingen: Kaliopi, „Crno i Belo“ (Mazedonien) 1996 scheiterte Kaliopi ganz knapp an der Finalteilnahme, mit der sie schon fest gerechnet hatte. Überraschungen passieren, auch negative. 2011 verschwand Halstenbek-Rellingen von der Oberliga-Bühne, womit auch nicht unbedingt zu rechnen war. 2012 sind endlich beide dabei und verweisen doch auch auf die Vergangenheit– der rockige Kracher „Crni i Belo“ erinnert an eine Zeit, als HR-Trainer Thomas Bliemeister noch lange Haare hatte.
Eintracht Norderstedt: Jedward, „Waterline“ (Irland) Einige grantige Freunde des gepflegten Chansons würden das irische Duo wohl am liebsten im Landeskrankenhaus sehen. Damit haben sie natürlich überhaupt nicht Recht: Jedward gehört nicht nach Ochsenzoll, sondern an die Ochsenzoller Straße. Viel Pompom-Effekte überlagern die zeitlose Erkenntnis, dass maßgebend halt immer noch „auffem Platz“ ist. Eintracht Norderstedt spielte ein bravouröses, wenngleich erfolgloses Pokalhalbfinale, konnte ansonsten jedoch nur bei Stadionführungen überzeugen. Das Umfeld ist regionalligatauglich, die Mannschaft aber fällt viel zu oft in den Brunnen. „I’m so close to the waterline“ – weil Jedward das auch so sehen, sind sie auf keinen Fall verrückt.
SC Victoria: Željko Joksimovic, „Nije Ljubav Stvar“ (Serbien) Ohne Željko Joksimovic würden wir den Eurovision Song Contest kaum wieder erkennen. In den vergangenen acht Jahren ist er einmal Zweiter geworden, einmal Dritter und einmal Achter. Der ganz große Wurf fehlt also noch. Der SC Victoria ist innerhalb von fünf Jahren zum vierten Mal Stadtmeister geworden, aber endlich lohnt es sich auch: Die Regionalliga ruft. Ob wir die Oberliga noch wiedererkennen, wenn „Vicky“ nicht mehr dabei ist? Wir vertagen das Problem, denn als Meisterin darf die alte Dame noch mal ran: Der folgende Titel „Be my Guest“ der ukrainischen Sängerin Gaitana lädt Germania Schnelsen schließlich zum Pokalfinale an die Hoheluft.
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