08.08.2012 Pokal: Santa Fu – und raus bist Du (noch lange nicht) von Andreas Killat
2. Runde
Eintracht Fuhlsbüttel – USC Paloma 0:9 (0:3)
Eintracht Fuhlsbüttel: Aus Datenschutzgründen ist eine Veröffentlichung der Namen der Inhaftierten verständlicherweise nicht erlaubt. USC Paloma: Jonas – Sulinski, Dreyer, Drews, Sterczyk (56. Broksch) – Wegner, Albrecht (56. Körner) – Lohfeldt, Franz – Gyimah (30. Chipenko), Ratke Tore: 0:1 Lohfeldt (2.), 0:2, 0:3 Ratke (9./18.), 0:4 Chipenko (51.), 0:5 Körner (61.), 0:6 Chipenko (74.), 0:7 Sulinski (84.), 0:8 Ratke (85.), 0:9 Broksch (86.) Schiedsrichter: Hasan Biyikli (VfL Hammonia): Gestern durfte er das 33:0 (!) von Urania leiten, heute musste er ohne Linienrichter auskommen (!). Dafür machte er seine Sache sehr sehr gut! Beste Spieler: geschlossene Mannschaftsleistung – Chipenko Zuschauer: 0 (lediglich einige Mithäftlinge an den Fenstern, Betreuer, Wachposten und JVA-Angestellte)
Eintracht Fuhlsbüttel – für jeden Groundhopper ein ebenso interessantes wie auch unerreichbares Ziel, denn Zuschauer sind in Santa Fu nicht zugelassen. HAFO-Redakteur Andreas Killat und BILD-Amateur-Cocktail-Spezialist Andreas Zschorsch schafften es heute aber ausnahmsweise doch hinein. Ein Pokalbericht aus einer ganz anderen Welt:
Der „Verein“ wurde 1980 vom damaligen HFV-Verbandstrainer Günter Grothkopp (86) gegründet - zunächst als Modellversuch, befristet auf acht Wochen. Die Gefangenen sollten über den Sport Tugenden wie Disziplin und Teamfähigkeit lernen – sehr erfolgreich, wie sich zeigen sollte. Grothkopp war kurz nach dem Krieg selbst aktiver Fußballer und trainierte später u.a. fast drei Jahre lang Hannover 96 (07/1959-12/1961) in der damaligen Oberliga Nord (= 1. Liga). Seit 1981/82 nimmt Fuhlsbüttel, die kein eigenes Vereinswappen haben, in der Kreisklasse am Punktspielbetrieb teil. Zunächst stets außer Konkurrenz, doch seit 2009/10 darf man voll mitspielen, hat jedoch weiterhin kein Aufstiegsrecht. Aktueller Trainer ist Gerhard „Gerd“ Mewes (68), der u.a. schon sehr erfolgreich beim VfL Stade (1978-1981), 1. SC Norderstedt (1985-1988) und dem SV Lurup (1983-1985 und 1989-1992) als Coach tätig war und letzte Saison die erste „richtige“ Meisterschaft mit Eintracht Fuhlsbüttel feierte (82 Punkte, 147:36 Tore). Auch in dieser Saison startete das Team mit einem 4:0 gegen den 1. FC Hellbrook in die Saison und erreichte erstmals die 2. Runde im Oddset-Pokal (durch ein 7:3 gegen Ilinden).
Wenn man als „Besucher“ die Sicherheitskontrollen in Santa Fu passiert hat (abzugeben sind: Bargeld, Handy, Autoschlüssel und geöffnete Getränke - selbst ein Deospray ist nicht erlaubt), gelangt man nach intensiver Leibesvisitation durch mehrere Sicherheitsschleusen in einen großzügig angelegten Innenhof. Vorbei an 100 Fenstern, aus denen Gefangene (oder heißt es politisch korrekt „Insassen“?) mehr oder minder freundliche Kommentare rufen. Irgendwie gespenstisch. Doch das legt sich schnell, alle Angestellten und auch die Polizisten sind sehr freundlich und die Umkleidekabine ist geräumig und neu bzw. toprenoviert (alles schick gefliest, komfortable Duschen).
Die Spieler von Eintracht Fuhlsbüttel laufen unter den Augen von Anstaltsleiter Andreas Gross, der den ungewöhnlichen Spieltermin an einem Mittwochabend ausnahmsweise genehmigt hat (üblicherweise muss Sonntags um 9 Uhr gespielt werden), in schicken HSV-Trikots (!) aufs Spielfeld. Die Trikots sind die „Prämie“ für die gerade errungene Meisterschaft und werden mit sichtlichem Stolz getragen. Heim-Trainer Gerd Mewes begrüßt Marco Krausz mit den Worten: „Hat Dein Vater mal bei Urania gespielt?“ und bekommt ein sichtlich überraschtes „Ja“ zur Antwort. Zur Aufklärung: Marco Krausz Vater spielte vor rd. 35-40 Jahren tatsächlich erfolgreich beim SC Urania. „Auf dem Urania-Grantplatz bin ich als Kind großgeworden. Eugen Igel und Bert Ehm haben mich glaube ich sogar als Baby dort mal gewickelt...“! Nostalgie pur. Auch HAFO-Leser Detlef Neumann schickte uns Erinnerungen von 1981 (mit TuS Berne): „Zu meiner Zeit waren das die fairsten Spiele - die Fuhlsbütteler konnten sich nichts erlauben, sonst wäre die Mannschaft gesperrt worden – und das hätte garantiert Ärger mit den Mithäftlingen gegeben. Damals konnten die Raucher immerhin Zigaretten mit reinnehmen und niemand hat sich beschwert, wenn sie "vergessen" wurden“.
Genauso war es auch heute, 30 Jahre später! Eintracht Fuhlsbüttel spielte ausgesprochen fair, kein böses Foul und keine einzige Grätsche. Schiedsrichter Hasan Biyikli musste tatsächlich nicht eine Gelbe Karte zeigen! Die Partie selbst war früh entschieden, Andy Lohfeldt und René „Renner“ Ratke nutzten schlimme Abwehrpatzer (der Keeper stand zum ersten Mal im Tor, es fand sich kein anderer) zur beruhigenden 3:0-Führung. Bitter für die Gastgeber: Ihr bester Stürmer war „gesperrt“, brummte eine Disziplinarstrafe (in Einzelhaft) ab...
Paloma tat nun nicht mehr, als nötig. Oder wie es Marco Krausz formulierte: „Ich war froh, dass das Spiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand“, und meinte damit vor allem die erste Halbzeit, wo sein Team jegliche Laufbereitschaft vermissen ließ. „Meistens haben wir im „Pause-Modus“ gespielt“, so der USC-Coach weiter, „in der zweiten Halbzeit hatten wir dann wenigstens Torchancen und einige haben sogar geschwitzt“. Wie gut, dass die uniformierten Polizisten sich als „Balljungen“ (!) nützlich machten – hat man auch eher selten.
Erwähnenswert auch noch das Herren-Pflichtspieldebüt von Robin Broksch (19) aus der A-Jugend des USC Paloma. Nach langer Verletzungspause hat sich der junge Mann wieder an den Kader herangekämpft und markierte den 9:0-Endstand. Zwei, drei gute Chancen zum Ehrentreffer gab es auch auf Seiten der Hausherren – aber Yannick Jonas (20) war stets zur Stelle. Bei einer dieser Chancen verdrehte sich die Nr. 11 ohne Einwirkung eines Gegenspielers unglücklich das Knie – und musste leider ins Krankenhaus gefahren werden (ein getürkter Fluchtversuch war es aber wohl nicht, zumal zwei Beamte ihn begleiteten).
Nach dem Schlusspfiff folgte freundliches shake hands mit den Gegnern und Krausz stellte zufrieden fest: „Natürlich war es für alle erstmal ungewohnt. Aber es war total entspannt hier. Unter diesen Bedingungen finde ich es völlig in Ordnung, dass die am Punktspielbetrieb teilnehmen dürfen. Ist doch eine tolle Sache“. Dem kann sich der HAFO-Schreiber nur anschließen. Ein erlebnisreicher Nachmittag für alle Beteiligten! P.S.: Gerd Mewes sucht noch dringend einen Torwart und freut sich über „Bewerbungen“...:-)
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