27.08.2012 Rückblick: Dustinix und Ömerix von Folke Havekost
Als der britische Musiker Jamie Cullum ein Mittzwanziger war, veröffentlichte er 2004 das Album „Twentysomething“: Eine Sammlung von neu interpretierten Klassikern wie etwa Cole Porters Jazz-Standard „I get a kick out of you“, der allenfalls bedingt mit Fußball zu tun hat. Im Fußball lässt sich der „Twentysomething“-Begriff noch enger fassen. Der Übergang vom Nachwuchsspieler zum Irgendwie-in-den-eigenen-Zwanzigern befindlichen Kicker ist durch die U 23-Altersgrenze definiert; wer sie passiert hat, den rechnen wir zu den Zwanzigetwasianern. Drei von ihnen führen nach dem vierten Spieltag der Oberliga gemeinsam die Torschützenliste an: Thomas Koster (23, Pinneberg), Kristoffer Laban (23, BU), Kim Schultze (24, Lurup), alle mit vier Treffern auf ihrem Konto.
Am vergangenen Wochenende setzte Koster das größte Ausrufezeichen, als er seine Torbilanz innerhalb von 55 Minuten vervierfachte. Der VfL Pinneberg siegte nach 0:1-Rückstand noch 4:1 gegen Niendorf, und VfL-Coach Michael Fischer kennt „keinen Oberliga-Spieler, der so variabel einsetzbar ist wie Thomas“. Außer Torwart hat Koster schon alle Positionen hinter sich, also ist es irgendwie logisch, dass er mittlerweile ganz vorne steht.
Das wiederum lässt sich von den Niendorfern nicht behaupten. Viele Kicker im Kader sind mindestens in unserem Sinne noch keine Twentysomethings, sondern Nachwuchs. Als wir diesen in Altona knapp verlieren sahen, waren wir durchaus beeindruckt, aber wie fast überall gibt es auch hier – erst recht nach gerade vier Spieltagen – mindestens zwei Seiten. Inzwischen relativiert sich sogar das Auftakt-2:1 gegen Bergedorf, denn es war bis dato die knappste aller Elstern-Niederlagen. Auch gegen das zuvor ebenfalls punktlose Meiendorf konnte 85 nicht punkten, im Gegenteil. Der erstaunte MSV-Anhang registrierte erfreut, dass ihr hinten nicht unbedingt sattelfestes Team erstmals in einem Pflichtspiel ohne Gegentor blieb – und mit dem 2:0-Sieg sogar die Abstiegsränge verließ.
Die Elstern suchen noch das Licht am Ende des Tunnels. Der SC Vier- und Marschlande hat es zumindest schon aufscheinen sehen, wähnte sich zeitweise schon am Tunnelende. 1:0 führte die Scherner-Elf bis kurz vor Schluss gegen das noch unbesiegte Buchholz 08. Doch nur kurze Zeit später musste Benjamin Scherner feststellen, dass „das Glück im Moment nicht gerade auf unserer Seite ist“. Julardzija verpasste die Entscheidung, Mathies traf im Gegenzug zum Ausgleich für die Niedersachsen, der 08-Trainer Thomas Titze aber kaum beruhigte. Bezirksliga-Niveau attestierte er seinen Schützlingen.
Ganz schön garstig, denn ein Leistungsvermögen oberhalb der Bezirksliga hatten auch die skeptischten Beobachter jedem der 18 Teilnehmer der Oberliga-Runde unterstellt. Selbst dem SV Lurup, der mit seinem schwachen Start gleichwohl den Argwohn nährte, dass es für die Oberliga doch nicht ganz reichen könnte. Nach dem 2:2 bei Altona 93 sind die Kritiker erst einmal verstummt – auch dank Kim Schultze, dem Oldie aus unserem Twentysomething-Torjäger-Trio, der mit seinem Anschlusstreffer zum 1:2 die Luruper Hoffnungen befeuerte. Altona hingegen verspielte im zweiten Heimspiel zum zweiten Mal eine 2:0-Führung. Gegen Niendorf reichte es dennoch zu einem 3:2-Sieg, gegen Lurup musste der AFC im Bezirksderby mit einer Punkteteilung zufrieden sein. Ein kleiner Dämpfer für die gut gestarteten Altonaer, die sich derzeit mit einigen Verletzungssorgen herumplagen.
Auch in Elmshorn wurden nicht die vollen drei Zähler verteilt. Aus Sicht der Gastgeber war dies höchst ärgerlich, denn nach der frühen Führung durch Jan Lüneburg vergaben die Elmshorner eine Gelegenheit nach der anderen. Dass in der zweiten Hälfte eine Mini-Buddel „Kleiner Feigling“ aufs Feld flog (aus welchem Fan-Lager, ist umstritten), inspirierte das Hamburger Abendblatt zur nüchternen Feststellung: „Die Elmshorner Chancenverwertung glich ungefähr dem Alkoholgehalt der Spirituose mit dem Feigenaroma: 20 Prozent.“
Wobei der Übeltäter angesichts der Chancenvergeudung des FCE auch eine PET-Flasche zweieinhalbprozentiges Leichtbier hätte schleudern können, ohne die Rechnung damit über den Haufen zu werfen. Jan-Philipp Rose rettete den Gästen am Freitagabend mit seinem direkt verwandelten Freistoß schließlich noch einen Punkt, seinen Trainer rettete er damit nicht mehr. Am Sonntag entließ Eintracht Norderstedt Matthias Dieterich. Wer der Begründung von Vereinsseite glaubt, der geschasste Coach habe wegen beruflicher Überlastung selbst um seine Freistellung gebeten, dem empfehlen wir, nach dem Eintracht-Heimspiel am 9. Dezember gegen Condor gleich einen längeren Urlaub in der 70.000-Seelen-Stadt zu buchen. Der Weihnachtsmann soll schließlich in der Gegend rumrennen, dicht gefolgt vom Osterhasen.
Während Dieterich an Elmshorn schlechte Erinnerungen haben dürfte, sind die von Bert Ehm durchaus gemischt. In der vergangenen Saison coachte er die Elmshorner zum Oberliga-Aufstieg, wurde aber gleichsam von der Wilhelmstraße verabschiedet. Inzwischen trainiert der Altmeister in Schnelsen – und freute sich am Freitag über einen späten Treffer von Tamer Dönmez, der seinen Germanen ein 1:0 gegen den gut aufgelegten USC Paloma bescherte. Die neuformierten Schnelsener haben sich nach ihrer Auftaktniederlage inzwischen auf Rang zwei des Tableaus eingefunden – es scheint so, als hätte Ehm auch in seiner postvictorianischen Phase den Appetit aufs Titelsammeln noch nicht eingebüßt.
Wo die Tauben in Schnelsen durchaus unglücklich verloren, ließ sich davon bei ihren Nachbarn aus Barmbek-Uhlenhorst nicht reden. Daran änderte auch Kristoffer Laban aus unserer Mittzwanziger-Sammlung nichts, er blieb diesmal ohne Erfolgserlebnis. Platzverweis für Morten Pfahl nach einer halben Stunde, Gegentreffer durch Mladen Tunjic kurz vor der Pause … Nils Matthiessen brauchte mit seinem Treffer zum 0:2 kurz vor Schluss den Sack für Halstenbek nur noch zuzuschnüren. Von einer HR-Krise zu sprechen, sei „der größte Blödsinn aller Zeiten“, hatte Manager Hans-Jürgen Stammer gesagt, als das Tabellenbild für die Holsteiner noch weit hässlicher aussah. Und auch, wenn wir für Blödsinn natürlich gern zu haben sind – im Moment unterstellen selbst wir der Bliemeister-Bande nicht, in der Bredouille zu sein.
War es doch ein fast perfektes Wochenende für die Oberliga-Kicker aus dem Kreis Pinneberg. Nur der SV Rugenbergen kehrte ohne Zählbares von seinem Ausflug ins gallische Dorf Bramfeld zurück. Vespermann und Akyörük, auch als Dustinix und Ömerix bekannt, trafen spät zum 2:0-Erfolg des Aufsteigers. Vor Wochenfrist hatten wir ja den Bramfeldern nach ihrer 1:4-Niederlage bei Paloma empfohlen, einfach so weiter zu machen und in jedem Spiel 1:0 in Führung zu gehen. Je später dies geschieht, desto besser, schließlich besteht das größte Argument gegen die von uns empfohlene Strategie in der beliebten Weisheit „Wer Einsnull führt, der stets verliert.“
Umgekehrt hieße dies ja: „Wer erstmal Nulleins hinten liegt, der stets doch noch die Kurve kriegt.“ Oder so ähnlich. Besäße die Weisheit Allgemeingültigkeit, dann sähe die Oberliga-Tabelle derzeit so aus:
Beim SV Curslack-Neuengamme scheint die alte Weisheit also am besten aufgehoben zu sein: Tabellenführer nach 90 Minuten und Tabellenführer nach 0:1-Rückständen! Wir gratulieren recht herzlich, und dass wir dazu bis an dieser Stelle gewartet haben, hat einen traurigen Grund. Curslack spielte 1:1 beim SC Condor, und es war das erste Spiel der Raubvögel nach Helmut Bielfeldt, der am Donnerstag im Alter von 70 Jahren gestorben ist. Dass der kleine, freundliche, wenig spektakuläre Verein aus Farmsen eine Vielzahl von Gesichtern hervorgebracht hat, die wir nur kurz sehen und sofort „Ah ja, SC Condor!“ denken, war an Helmut Bielfeldt in personam zu erleben. Der Ah-ja-Condor-Effekt, dessen sind wir uns sicher, wird uns nicht verlassen, und dies wird eine von vielen Erinnerungen an Biele sein.
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