17.09.2012 Rückblick: Gestutzte Elstern fliegen länger von Folke Havekost
Ein Rückblick beginnt normalerweise nicht mit einer Vorschau, aber was ist schon normal in der Oberliga Hamburg? In zwei Wochen also soll der "Football Freestyler" Florian Halimi seine artistische Ballfertigkeit an der Ellernreihe vorführen, wenn der Bramfelder SV gegen Altona 93 antritt. Jonglage und Breakdance eines Solokünstlers mit dem Ball und um den Ball herum ist etwas gänzlich anderes als handwerklich vortrefflich organisierte Abwehrarbeit und mustergültig gesetzte Konter einer ganzen Mannschaft. Aber wer am Sonntag das 4:0 des Bramfelder SV gegen den (bisherigen) Tabellenführer Germania Schnelsen erlebt hat, kam nicht umhin, auch diese Vorstellung mit Zauberei in Verbindung zu bringen.
Der Auftritt der Bramfelder war auch zauberhaft, war es gleichsam aber auch nicht. Wie in einem Brennspiegel konzentrierten sich die Fähigkeiten des Aufsteigers in eine 90 Minuten währende Sternstunde. Das pragmatische "Wir spielen das, was wir können" fusionierte mit dem wundersamen "Alles, was wir tun, gelingt uns auch" zu einem Ergebnis, das im Nachhall erklärbar ist und doch immer noch fantastisch anmutet. Das zwar lautstarke, aber auch höchst pragmatische "Nichtabsteiger, Nichtabsteiger", das wir aus dem Kreis der jubelnden Spieler vernahmen, lässt uns auf weitere Kunststücke des Außenseiters hoffen. Halimi, du bist nicht allein!
Zu ihrem Glück legten die Bramfelder nicht noch das 5:0 nach, denn das hätte uns bestimmt an das gleichlautende Ergebnis aus der Vorsaison zwischen Sasel und Buchholz erinnert. Auch das war aus Sicht des Siegers eine Sternstunde, doch der Stern verglühte rasch. Es war ebenso der einzige Sieg der Saseler in der gesamten Spielzeit. Bramfeld hat schon jetzt mehr zu bieten; wenn am Ende der Serie dann doch kein Fünf-Tore-Sieg herausgekommen ist, muss dies die Elf von Hardy Brüning sicher nicht bekümmern.
Auf 5:0-Siege hat sich in dieser Saison ja ohnehin der SC Condor spezialisiert, der kaum in solche Schwierigkeiten geraten dürfte wie wir sie bei den Saselern sahen und bei den Bramfeldern zumindest erwarteten. Beim USC Paloma traten die Raubvögel extrem bissig auf. Am Ende stand - nach dem Kantersieg in Niendorf - schon der zweite 5:0-Auswärtserfolg der Gelb-Schwarzen, die sich durch ihren Torreigen an die Spitze des Verfolgerfelds setzten. Den Tauben scheint die Spielpause samt Drei-Punkte-Präsent, die Bergedorf ihnen vor zwei Wochen hinterließ, nicht gut getan zu haben. 0:9 Tore aus den beiden Spielen danach - da hat ein Sturzflug eingesetzt.
Derzeit scheint es recht lukrativ, gegen Paloma zu wetten. Fast so lukrativ, wie einen Einsatz auf den FC Elmshorn zu platzieren. Denn dass Elmshorn 1:0 in Führung gehen würde, konnte eigentlich jedem klar sein. Schließlich waren die Elmshorner bislang immer so vorgegangen. Wer mit diesem hochanalytischen Hintergrundwissen in Lurup noch schnell nach Wettopfern suchte, musste sich aber ganz schön beeilen. Nicht einmal eine Minute verging nach dem Anpfiff, ehe Jan Lüneburg der Prognose bereits den Stempel "korrekt" aufdrückte und damit die Wettgrundlage erodierte.
Lüneburg traf auch zum 2:0 für den FCE, dessen Darbietung danach aber ein wenig an das WM-Qualifikationsspiel der DFB-Auswahl in Österreich erinnerte. Lurup kam durch Jan Geist auf 1:2 heran und hätte sich in der Schlussphase beinahe noch mit einem Punkt belohnt. War aber nicht so, es blieb dabei: Elmshorn siegt wie Deutschland. Und ist damit, wie die Löw-Elf, Tabellenführer. Dicht gefolgt vom Derbysieger Curslack-Neuengamme, der beim Heim-3:1 gegen Vier- und Marschlande allerdings tüchtiges Glück und den vorlegenden Joker Pascal Eggert benötigte, um die Begegnung in den letzten zehn Minuten doch noch für sich zu entscheiden. Den mittlerweile sechsfachen Torschützen Jan Landau nicht zu vergessen.
Der nächste Gegner der nun auf Position zwei rangierenden Curslacker erreichte ebenfalls ein Schlussphasen-3:1. Buchholz 08 verstärkte seinen Druck in Niendorf nach dem Seitenwechsel, ließ sich nach eigener Führung auch vom Ausgleich nicht irritieren und schaffte so den ersten Auswärtssieg. Niendorf hingegen bleibt auf einem Abstiegsplatz, genauso wie die in Curslack einmal mehr unter Wert geschlagenen Vierländer.
Diese bekamen 24 Stunden später auch noch die Rote Laterne in die Hand gedrückt, weil die bis dato punktelosen Elstern in Barmbek "quicklebendig" auftraten und einen überraschenden 1:0-Erfolg einfuhren. Torschütze Yayar Kunath gab den Bergedorfer Anhängern einen Doppelsalto und neue Hoffnung, der neue Trainer Berkan Algan das Versprechen: "Wir werden jetzt nicht immer gewinnen, aber immer mit Herz und Überzeugung spielen."
Das sahen auch die BU-Fans vom "Barmbeker Pöbel" so und gratulierten mit dem Gesang "Die drei Punkte habt ihr euch verdient". Stimmt die alte Bauernregel doch: Gestutzte Elstern fliegen länger? Beim ersten Erfolgserlebnis der Saison schauten jedenfalls auch einige Ex-Bergedorfer ihren (noch gar nicht so) alten Mitspielern zu. Ganz gleich, ob die Geschehnisse an den Sander Tannen nun in eine Groteske, Tragödie oder doch noch in ein Lustspiel münden - sich ganz abzuwenden von der Bühne fällt dann doch schwer. Wie heißt es noch gleich bei den Eagles im "Hotel California": "You can check out any time you like, but you can never leave."
Da Bergedorf am Ball bleibt, können wir auch beruhigt feststellen, dass die Oberliga weiter aus 18 Vereinen besteht. 18 lässt sich wunderbar durch drei teilen, und alle Ergebniskategorien wurden am Wochenende auch gleich stark besetzt. Es gab sechs Sieger, sechs Verlierer und sechs Punkteteiler, bei denen es nicht bergedorfisch oder bramfeldesk zuging, sondern recht normal.
Wie gut ist Meiendorf eigentlich? Das war nach dem Spiel die, nun ja, Kontroverse zwischen Meiendorf-Coach Matthias Stuhlmacher und Pinneberg-Trainer Michael Fischer, die zuvor ein schiedlich-friedliches 2:2 mit wechselnden Führungsanteilen gesehen hatten. Besser als der eingenommene Rang 13, behauptete Fischer; eher nicht, erwiderte Stuhlmacher. Dass das Remis in Ordnung ging, mochte keiner bestreiten.
In Ordnung ging auch das 1:1 zwischen Rugenbergen und Altona. Dort hatten beide Seiten aber Grund genug, verpassten Gelegenheiten nachzutrauern. Die Gäste gingen schnell in Führung, schwächten sich dann aber durch einen Platzverweis und kassierten den Ausgleich durch einen umstrittenen Strafstoß. Der SV Rugenbergen wiederum versäumte es, sein Überzahlspiel in einen Dreier umzumünzen. "Als Trainer habe ich gegen Altona noch nie so viele Torchancen gehabt", resümierte SVR-Trainer Ralf Palapies danach. Palapies hat früher selbst für Altona gespielt, und gegenüber dem "Pinneberger Tageblatt" schwärmte er vom gegnerischen Verein: "Die Tradition, die Marke - Altona 93 ist Fußballgefühl, einfach sensationell."
Sicherlich finden sich auch außerhalb Bönningstedts genug Stimmen, die Altona 93 als eine Art Real Madrid des Hamburger Amateurfußballs ansehen. Wobei Real Madrid derzeit ja durchaus mehr Probleme hat als die Altonaer und sich vielleicht wünschen würde, öfter mal gegen Oberligisten anzutreten. Dem HSV hat dieses Rezept bisher ja noch nicht so recht geholfen.
Alldieweil: Wenn Real Madrid im Champions-League-Halbfinale 1998 nicht gegen Borussia Dortmund, sondern gegen Halstenbek-Rellingen hätte spielen müssen, hätten die Madrilenen schon mal weniger Probleme gehabt. Ein Tor fällt um - na und, wozu braucht der Fußball Tore? Halstenbek spielte am Sonntag zum dritten Mal in Folge 0:0, diesmal gegen Eintracht Norderstedt. Das würde gewiss auch gegen die Königlich-Galaktischen so sein, falls José Mourinho kurzfristig für ein Testspiel bei Detlef Kebbe anfragen würde.
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