Beide Trainer waren schon vor dem Anpfiff auf Hundertachtzig: Berkan Algan „vermisste“ einige Zuspätkommer und die Trikots (!) und sein Gegenüber Meik Ehlert musste nicht nur sehr kurzfristig auf Lamin Jawla verzichten (Matthias Bub dazu vielsagend: „Er steht uns heute nicht zur Verfügung“), sondern musste zehn Minuten vor Spielbeginn auch noch Mehmet Eren aus der Startelf streichen, weil der völlig überraschend einen Sperrvermerk im DFB-net hatte („Wir können uns das nicht erklären“). Für Eren, der endlich mal von Anfang an hätte spielen sollen, eine ganz bittere Geschichte. „Da werden wir das Gespräch mit dem Verband suchen“, war Ehlert kaum zu beruhigen.
Auch die Zuschauer kamen nachfolgend kaum zur Ruhe, vom Anpfiff weg gab es ein munteres Spiel zu sehen, auch wenn SCC-Coach Ehlert hinterher von einem „schläfrigen Beginn“ sprach. Carlos Flores avancierte dabei in Abwesenheit von Nils Roschlaub (der aber immerhin schon wieder auf der Bank saß) zum Star des Tages. Schon nach 40 Sekunden hatte er die Möglichkeit zur Führung, kam aber nur mit der Fußspitze an den Ball und spitzelte das Leder knapp am Pfosten vorbei (1.). Eine gute Viertelstunde später versuchte es der quirlige Portugiese nach schöner Vorarbeit von Pascal El-Nemr aus der Drehung, doch Keeper Tobias Braun war zur Stelle. Das aller guten Dinge nicht immer drei sind, zeigte dann die nächste Szene für Flores: Nach einen Freistoß von Alexander Krohn (heute mit guten Standards!) drosch er das Spielgerät aus zwei Metern Braun auf die Brust, statt in die Maschen (22.). Doch „CF“ gab nicht auf und wurde 120 Sekunden später belohnt: Mit dem rechten Außenrist schlenzte er die Kugel aus zehn Metern halbrechter Position gekonnt in die lange Ecke zum 1:0 (24.), ein Traumtor! Der obligatorische Jubel mit den Mitspielern musste warten, stattdessen stürmte er über die Tartanbahn zum (bis dahin) traurig dreinblickenden Mehmet Eren (Ehlert: „Für ihn tut es mir wirklich richtig leid“) und feierte mit ihm den Treffer. Eine starke Szene! Und die Raubvögel machten weiter Druck. Sebastian Gerdes wusste sich nicht anders als mit einem Foul gegen Matthias Werwath zu helfen: Gelbe Karte und Foulelfmeter! Krohn hämmerte den Ball an den rechten Innenpfosten, von wo er zum 2:0 ins Netz spritzte (28.).
Von den Elstern war bis dahin wenig bis gar nichts zu sehen. Nur Christian Sankowski versuchte es mal knapp hinter der Mittellinie mit einem Verlegenheitsschuss aus 40 Metern (14.), ansonsten fielen die Bergedorfer eher durch zwei (!) falsche Einwürfe von Denis Urdin und Jurij Jeremejev auf. Doch ähnlich wie letzte Woche gegen Altona schlugen die 85er quasi mit dem Halbzeitpfiff zu: Lars Lüdemann ließ sich von Yayar Kunath düpieren und der zirkelte den Ball mit einem herrlichen Schlenzer unhaltbar zum 1:2-Anschlusstreffer in die Maschen. Und wer weiß, wie die Partie ausgegangen wäre, wenn Jeremejev direkt nach Wiederanpfiff nicht freistehend an Sascha Kleinschmidt gescheitert wäre (46.)?! Doch das ist reine Theorie, denn Condor gab nun richtig Gas.
Flores bediente Florian Niemann, doch „Der Fette“ (Spitzname laut Stadionzeitung) hämmerte den Ball aus acht Metern in die Abwehrbeine hinein (51.). „Sonst schiebt er die Dinger immer lässig in die Ecke, das hätte er diesmal auch tun sollen“, analysierte Ehlert später absolut zutreffend. Dennoch machte der 26jährige, der als größten sportlichen Erfolg „zwei Monate verletzungsfrei“ angibt, heute eine tolle Partie. Das bestätigte er schon Sekunden später: Nach Ecke von Krohn legte Niemann am langen Pfosten stehend mit dem Kopf perfekt für Flores zurück in die Mitte auf und der ließ sich zum zweiten Mal bitten und versenkte ebenfalls per Kopf zum 3:1 (52.). Die Bergedorfer wirkten nun wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen und „Fuchs“ Flores schnappte (nach toller Vorarbeit von Mike Theis) zum dritten Mal nach Beute (54.).
Damit war die Partie natürlich entschieden, an ein „Schweden-Comeback“ glaubte hier nämlich niemand. Zum Glück für die Algan-Elf machten die Raubvögel nun 15 Minuten lang „Piano“, sonst wäre es wohl ein noch schlimmeres Debakel als sowieso schon geworden. Denn erst mit der Einwechslung von Moritz Mandel (68.) kam wieder Schwung in die Partie. Der Ex-Holsteiner wollte sein unsägliches „Winter-Interview“ vergessen machen und lief fortan um sein Leben. Und der Lohn stellte sich zum 5:1 auch schnell ein (72.). Der Ehrentreffer zum 2:5 von Kunath per Elfmeter (Maas hatte den Schützen gefoult) reizte die Gastgeber nur noch mehr, erneut Mandel (83.) und Flores zum Vierten mit einem Abstauber (90.) schraubten das Ergebnis auf ein ansehnliches 7:2!
Auf die Frage, wann denn der SC Condor zuletzt in einem Punktspiel sieben Treffer erzielt habe, zuckten alle Beteiligten nur mit den Schultern: „Ich kann mich nur an ein 0:7 erinnern“, flachste Co-Trainer Christian Woike (am 10.08.2007 beim SC Victoria), „aber das haben wir uns hinterher zum Sieg schön getrunken“. HAFO hilft mit einem Blick ins Archiv gerne nach: In der Saison 1995/96 beim 7:0 gegen BW 96 Schenefeld gab’s das zum letzten Mal. Condor wurde Meister und stieg in die Oberliga Hamburg/Schleswig-Holstein auf! Wiederholung (nicht) ausgeschlossen...
Punktspielstatistik aus Sicht des Gastgebers (seit 1956): 23 Spiele, 6 Siege, 6 Remis, 11 Niederlagen, 43:46 Tore
Berkan Algan (Trainer FC Bergedorf 85): Der ganze Ablauf, die ganze Vorbereitung war heute eine reine Katastrophe. So viele Verspätungen in verschiedenen Bereichen – das lohnt sich gar nicht, weiter darüber nachzudenken. Das 7:2 hört sich schlimm an und ist es im Ergebnis vielleicht auch, aber vom Spielverlauf her habe ich viele Sachen gesehen, die uns weiterhelfen werden. Ein 1:0 wäre nicht so effektiv gewesen, das 7:2 ist mir viel lieber und ist jetzt eine gute Herausforderung für eine Analyse. Ich mache der Mannschaft keinen Vorwurf, wir stehen unten und hätten trotzdem fast das 2:2 gemacht. Wir werden noch unsere Punkte sammeln und werden nicht absteigen. Da mache ich mir keine Sorgen, so dramatisch wird das nicht.
Meik Ehlert (Trainer SC Condor): Auch für uns war das heute morgen bis 10.45 Uhr ein gebrauchter Tag. Im DFB-net haben wir einen Spieler (Mehmet Eren) mit einer Roten Karte vorgefunden, wo wir uns nicht erklären können, wo das herkommt. Dazu noch der kurzfristige Ausfall von Lamin Jawla, so dass wir komplett umstellen mussten. Aber man hat gesehen, dass die Spieler, die vermeintlich in der zweiten Reihe stehen, heute eine hervorragende Leistung gebracht haben. Hervorheben möchte ich Florian Niemann, der sehr souverän gespielt hat. Leider hat er sich nicht mit einem Tor belohnt, die Chancen dazu hatte er. Aber auch Tafese und Theis haben mir gut gefallen. Zum Spiel ist zu sagen, dass wir erst ein bisschen schläfrig waren, es dann aber richtig gut gemacht haben. Nach der Halbzeit hatten wir richtig Glück, dass nicht der Ausgleich fällt. Aber nach den beiden schnellen Toren von Flores war der Drops dann gelutscht. Wir haben was fürs Torverhältnis getan und fahren mit einem guten Gefühl nächste Woche nach Altona.
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