Die Ausgangslage vor dem Anpfiff war klar: Dem HSV-Nachwuchs genügte ein Punkt zum Klassenerhalt, während die Gäste (ohne ihren verletzten Kapitän Steffen Puttkammer) mindestens ein Remis anstrebten, um kommenden Samstag gegen den Erzrivalen Oldenburg noch einen Matchball zu haben. Die Zaungäste des SC Victoria auf der Tribüne hingegen drückten kräftig für einen HSV-Sieg die Daumen, denn dann wäre auch für den SCV das Wunder Klassenerhalt perfekt gewesen.
In seinem letzten Spiel auf Norderstedter Boden gab die Cardoso-Elf von Beginn an kräftig Gas. Das „fantastische HSV-Quartett“ Valmir Nafiu, Fabian Graudenz, George Kelbel und Mattia Maggio wirbelte die Wilhelmshavener Abwehr immer wieder gehörig durcheinander – und wurde früh belohnt: Kelbel schlenzte das Leder aus 14 Metern gefühlvoll in die lange Ecke zum 1:0 (10.). Doch Ruhe und Sicherheit kam damit nicht rein, im Gegenteil. Immer wieder gab es haarsträubende Schnitzer in der Hintermannschaft, allen voran Keeper Sven Neuhaus. Doch Wojciech Pollok (18.) und Fousseni Alassani (33.) vergaben die „Geschenke“ zunächst noch.
Knackpunkt des Spiels war wohl die 37. Minute: Nach einer schönen Ballstafette kam Christian Norgaard aus sechs Metern zentral vorm Tor völlig unbedrängt zum Kopfball (stehenderweise, also ohne in die Luft zu müssen). Doch während sich die Tribüne schon jubelnd in den Armen lag, strich der Ball unerklärlicherweise haarscharf am Pfosten vorbei. Was für eine Chance! So blieb der SVW am Leben, nutzte jedoch weiterhin seine dicksten Ausgleichsmöglichkeiten nicht. Torhüter Neuhaus fabrizierte nämlich den nächsten Klopfer: Unbedrängt am eigenen Fünfmeterraum (mit dem Ball am Fuß) spielte er das Leder direkt dem zehn Meter vor ihm stehenden Rico Gladrow in die Beine. Der wusste jedoch anscheinend zum Glück nicht wie ihm geschah, denn anders ist das Auslassen dieser Hundertprozentigen nicht zu erklären. Neuhaus nutzte das Zögern des Angreifers, machte eine „Weidenfeller-Parade“, warf sich Gladrow vor die Füße und fischte sich den Ball (39.). Im Gegenzug verpasste Nafiu nach Zauberpass von Maggio ein weiteres Mal die Chance zum 2:0, brachte nur einen kümmerlichen Schuss neben das Gehäuse zustande (41.).
Nach dem Seitenwechsel ging der muntere Schlagabtausch weiter. Janek Sternberg spielte Graudenz genau in den Lauf, doch der zuletzt so treffsichere Stürmer verdribbelte sich, legte aber immerhin noch quer zu Kelbel, dessen Schuss Hergen Gerdes abwehren konnte (53.). Im direkten Gegenangriff hatte Ex-Pauli-Kicker Alassani freistehend den Ausgleich auf dem Fuß, zielte aber zu hoch (54.). Den nicht unerwarteten (und auch nicht ganz unverdienten) Gleichstand stellte dann David Jahdadic her, der den Freiraum auf der linken Abwehrseite des HSV nutzte, da Sternberg sich gerade vorne eingeschaltet, aber den Ball verloren hatte. Aus 12 Metern drosch Jahdadic den Ball über Neuhaus hinweg in die Maschen (56.).
Aber der HSV schlug zurück: Nafiu über rechts mit schönem Blick für den freien Mann in der Mitte – und Graudenz netzte ein (68.). Riesenjubel auf der Tribüne beim recht gut besuchten Spiel. Doch die Freude – insbesondere bei den Vicky-Anhängern – währte leider nicht lange. Alassani nutzte einen schweren Patzer von Robert Labus zum erneuten Ausgleich (72.). Nun setzte auf beiden Seiten das Sicherheitsdenken ein, Cardoso nahm mit Kelbel und Graudenz seine beiden gefährlichsten „Waffen“ vom Feld. Schließlich genügte dem HSV ein Unentschieden. Und die Gäste wollten nun bloß nicht mehr verlieren. Zum Ende hin hatte der eingewechselte Manuel Farrona Pulido noch zwei Schussgelegenheiten (83./87.), doch es blieb beim 2:2. Nach der 1:2-Pleite im Derby gegen St. Pauli Mitte April und dem Absturz auf Platz 17 also dank famoser Aufholjagd doch noch ein Happy End für die U23. Etwas traurig hingegen blickte SCV-Team-Manager Oliver Sextro drein. Nun muss man einen Punkt in Kiel holen, oder hoffen, dass Wilhelmshaven das „Derby“ gegen Oldenburg nicht gewinnt.
Stimmen: Rodolfo Esteban Cardoso (Trainer HSV II): Wir waren vor ein paar Wochen schon tot und ich freue mich sehr, dass wir die Saison nun so zu Ende bringen konnten. Die Ziele waren vorher sicher anders, wir sind dann in ein Loch gefallen, aber die Jungs haben sich am Ende gefunden und verdient die Klasse gehalten. Wir wussten schon vor dem Spiel, dass da heute Spannung drin ist. Wilhelmshaven wurden vor der Saison viele Punkte abgezogen. Das ist ja eigentlich keine schlechte Mannschaft, die gegen den Abstieg spielt.
HAFO: Du bist ein bisschen nass geworden...?!
Cardoso: Das ist Wasser von Kelbel....
HAFO (Richtung Kelbel): Die Freude ist so groß, dass Du Wasser spritzen musst?
George Kelbel: Ja, die Erleichterung ist groß. Wir haben uns vor Wochen gesagt: Wir müssen das irgendwie hinkriegen – obwohl wir da eigentlich schon tot waren. Jetzt haben wir das endlich geschafft. Da hat niemand mehr mit gerechnet, aber wir haben es gemacht. Das ist einfach eine große Erleichterung.
HAFO: Wäre es nicht besser gewesen, ein Tor mehr zu machen?
Kelbel: Es wäre auch besser gewesen, wenn es 1:0 geblieben wäre, es wäre auch besser gewesen, wenn es beim 2:1 geblieben wäre. Im Endeffekt ist das aber okay und wir haben die Klasse gehalten.
HAFO: Wird heute noch gefeiert?
Kelbel: Die Jungs planen glaub ich irgendwas, ich höre hier immer was von Party – ich bin zu allem bereit! (lacht).
HAFO: Gibt es denn schon was Neues, was Deine Person betrifft?
Kelbel: Noch nicht wirklich. Ich denke, dass sich da in den nächsten Tagen irgendwas entscheiden wird. Die Saison ist nächste Woche vorbei, wir sind gesichert, jetzt kann ich mir langsam Gedanken um meine sportliche Zukunft machen. Priorität war erstmal, dass wir die Klasse halten und dass ich meine Leistung weiter bringe. Das ist ganz gut gelungen und jetzt kann ich mich auch zu 100% entscheiden.
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