21.10.2013 Rückblick: Nummer zwei nach sieben Jahren von Folke Havekost
Erinnert sich noch jemand an das Jahr 2006? Angela Merkel durchschritt ihr erstes Amtsjahr als Bundeskanzlerin, der HSV steuerte mit Thomas Doll auf der Bank und Rafael van der Vaart als Neuzugang durch Europa, während der FC St. Pauli wieder einmal daran ging, den Oddset-Pokal zu gewinnen. Und wer in dieser Stadt Weltfußball sehen wollte, machte sich auf ins „WM-Stadion Hamburg“, um sich die Spiele Argentinien – Elfenbeinküste oder Italien – Ukraine anzusehen. Einen schönen Sommer gab es überdies.
„Wann wir zuletzt auf dem zweiten Platz waren, das muss man wohl den Ältestenrat fragen“, sagte Pinnebergs Trainer Michael Fischer gestern nach dem 1:0 seiner Elf bei Barmbek-Uhlenhorst und dem entsprechenden Sprung im Oberliga-Klassement. „Ewig hat eine VfL-Mannschaft nicht mehr auf Platz zwei in der höchsten Hamburger Klasse gestanden“, vermutete das Hamburger Abendblatt sogar.
In solchen Fällen halten wir uns an die Botschaft, die im HAFO-Redaktionswandteppich eingestickt ist: „Musst du was fragen und hast du die Wahl, dann wende dich möglichst an Herrn Peter Strahl.“
„Die aktuelle Tabelle weist die Pinneberger nun schon auf Platz 2 aus bei nur vier Punkten Abstand und einem Spiel weniger zum Spitzenreiter“, schrieb Peter Strahl am 2. Mai 2006 auf dieser Website, nachdem der von Michael Fischer trainierte VfL Pinneberg den FC Süderelbe in Hamburgs Eliteklasse gerade 1:0 geschlagen hatte. Fünf Tage später registrierte unser Mann an der Fahltsweide beim 2:0 gegen Buxtehude einen Doppelschlag des späteren Bachelors Paul Janke sowie „köstlichen Rhabarberkuchen“ im Pressekonferenzcontainer. Am 11. Mai kassierten die Pinneberger dann mit einem 1:2 beim späteren Meister VfL 93 ihre erste Niederlage im WM-Jahr. Es waren auch die letzten Tage des heutigen Halstenbekers Detlef Kebbe beim VfL – Ende Mai trennten sich die beiden Seiten nicht ohne Getöse, und der Pinneberger Fußball erlebte danach sieben zumindest nicht mehr ganz so fette Jahre.
Umso größer der Jubel, als mit dem Dreier bei BU nach wenig ansehnlichen 90 Minuten der Status als Dassendorf-Verfolger Nr. 1 erreicht war. Auf die Wiedergabe der Pinneberger Freudengesänge nach dem Schlusspfiff verzichten wir mit Rücksicht darauf, dass Websites auch vor 23 Uhr ausgestrahlt werden. Rhabarberkuchen kam dabei jedenfalls nicht vor. Nicht nur in Sachen Dassendorf-Verfolgung, auch im Kreis Pinneberg sind die VfL-Kicker derzeit spitze – was daran lag, dass sowohl Elmshorn als auch Halstenbek-Rellingen in ihren Heimspielen nicht über ein 1:1 hinauskamen.
Für HR zweifelsohne enttäuschend, hatte man doch Schlusslicht Blankenese zu Gast. Als Jacques Rodrigues de Oliveira früh zum 1:0 traf, schien sogar für HR der Sprung auf Platz zwei möglich, wofür ein Sieg mit vier Toren Unterschied nötig gewesen wäre. Doch Gianluca d’Agata, bis zum Sommer noch beim VfL Pinneberg am Ball, glich kurz nach der Pause aus und erfreute damit nicht nur sein aktuelles, sondern auch sein ehemaliges Team. Im fernen 2006 unternahm d’Agata übrigens für Wedel die ersten Schritte im Herrenbereich und freute sich vermutlich über den WM-Titel seiner italienischen Landsleute.
Elmshorn gab den Sieg gegen Buchholz noch etwas später aus der Hand, nahm den Gegentreffer in der Schlussminute hin. „Der Punkt ist verdient und fühlt auf Grund des späten Torerfolgs an wie ein Sieg“, freute sich Buchholz-Verteidiger Alexander Bowmann auf landkreis-fussball.de nach dem 1:1.
1:1 war ein beliebtes Ergebnis am Wochenende – auch die Nachbarn Meiendorf und Condor trennten sich schiedlich-friedlich, wobei neben den Toren durch Kristoffer Laban und Marcin Hercog zwei Personalien im Vordergrund standen. Auf Meiendorfer Seite kam es zu einem gefeierten Comeback, als Yiner Ronal Arboleda Sanchez nach sechs Monaten Spielpause wegen Sperre und Verletzung zehn Minuten vor Schluss den Platz betrat.
„Keine Mannschaft der Welt kann einen Carlos Flores ersetzen“, klagte derweil Condor-Coach Christian Woike über die Zerrung seines Goalgetters. Die nach einer halben Stunde erfolgte Auswechslung von Flores, der im Sommer 2006, als „seine“ Portugiesen im Elfmeterschießen die englischen WM-Titelträume beendeten, von Meiendorf zum SC Concordia wechselte, markierte den Bruch im Spiel der Raubvögel.
Wir überlegen derweil: Ist es eigentlich schöner, als weltweit unersetzbar bezeichnet oder mit Franz Beckenbauer gleichgesetzt zu werden? „So einen Pass kann außer Beckenbauer keiner spielen“, begeisterte sich Dassendorfs Trainer Jan Schönteich über Marcel Jeremias, der Fatih Gürels Treffer zum mühsamen 2:1-Erfolg über Germania Schnelsen einleitete. Es war der „Lucky Punch“ (Schönteich), der einen Kampf entschied, der beinahe mit einem fürs Boxen und für Dassendorf-Heimspiele seltenen Unentschieden geendet hätte.
Unentschieden, nein danke! – so lautet weiterhin das Motto des SV Rugenbergen. Auch gegen Vierlande war die Mannschaft von Ralf Palapies weit von einer Punkteteilung entfernt. Auch weil Eigengewächs Hendrik Rühmann beim 4:0 gleich zweimal traf, arbeiteten sich die Bönningstedter „eindrucksvoll raus aus der Mini-Krise“, wie das Hamburger Abendblatt die Leistung nach zuletzt drei Niederlagen würdigte.
Für Vierlande, mit einem spektakulären 3:3 gegen Dassendorf angereist, war es ohne Frage ein Rückschlag. Dem Nachbarn Curslack-Neuengamme stand der SCVM zuletzt ja auch tabellarisch erstaunlich nah. Auch das Spiel der Curslacker endete mit einem 0:4, allerdings aus Sicht des Gastgebers Oststeinbek.
Nach dem Vorwochen-7:0 gegen Rugenbergen ballerte Curslack auch bei den Stormarnern los, die immerhin ihre letzten vier Spiele gewonnen hatten. Kristof Kurczynski legte nach seinem Vierpack gegen Rugenbergen in Oststeinbek zweimal nach und stellte die Weichen frühzeitig auf Sieg.
Kurczynski hat damit in den letzten beiden Spielen ein Tor mehr erzielt als Torschützenkönig Miroslav Klose im gesamten WM-Turnier 2006, aus dem wir Franz Beckenbauer eher durch seine Hubschrauberflüge von Spielort zu Spielort in Erinnerung halten.
Im Stile eines Spitzen-Hubschraubers schraubte Altona 93 in der zweiten Halbzeit die Führung bei Alstertal-Langenhorn von 2:1 auf 6:1. Der Nadelstich eines alten Bekannten war da schnell ohne Bedeutung. „Als hätte auf Seiten von Altona 93 noch nie jemand von dem Namen Jendrik Bauer gehört, ließ man den Torjäger mutterseelenallein zum Ausgleich einschieben“, wunderte sich fußballHamburg über Bauers zwischenzeitliches 1:1 gegen seinen Ex-Verein. Nach dem Kantersieg landete der AFC zunächst einmal auf Platz drei – gute Voraussetzungen fürs Spitzenspiel am Sonnabend in Pinneberg, für das sich in Sachen Rhabarberkuchen sogar der Guide Michelin um eine Akkreditierung bemüht haben soll.
Von überirdischen Speisen zurück zu überirdischen Fortbewegungsmitteln: Hätte Herr Beckenbauer auch gestern in Hamburg einen Hubschrauber zur Verfügung gehabt, wäre er wohl am Nachmittag noch schnell aus Langenhorn nach Bramfeld geflogen, wo eine Stunde (wegen der Ansetzung) und fünf Minuten (wegen der leichten Schiedsrichter-Verspätung) später angepfiffen wurde. Serhat Yapicis zweiten Treffer beim 3:0-Auswärtssieg der Niendorfer hätte der „Kaiser“ so wahrscheinlich noch gesehen; und sicherlich, dass der Bramfelder SV in dieser Verfassung kaum Chancen auf ein drittes Oberliga-Jahr haben dürfte.
Viel haben wir gelernt: Pinneberg ist wie 2006, Jeremias wie Beckenbauer, Flores die fleischgewordene Unersetzlichkeit. Nur über Übungsleiter hätten wir nichts erfahren, wenn Michael Fischer uns nicht verraten hätte, was er nach langjähriger teilnehmender Beobachtung herausgefunden hat: „Nicht alle Trainer sind Vollidioten, ahnungslos oder Psychopathen.“
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