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04.11.2013
Rückblick: Alle spielen Uwe von Folke Havekost



Morgen wird Uwe Seeler 77. „Viele Menschen kennen nur drei Buchstaben. I-c-h“, beklagte er vorab im Hamburger Abendblatt eine gewisse Fadheit in der Buchstabensuppe des Lebens.

Unser Elektronenhirn im HAFO-Keller kennt noch weniger Buchstaben, dafür aber ganz viele Zahlen. Als wir es neulich mit jeder Menge Lochkarten fütterten und ihm die Frage stellten „Wer ist der größere Trainer: Bert Ehm oder Eugen Igel?“, da ratterte, fauchte und zischte es so unheimlich, dass wir das Experiment abbrechen (und die nächsten Stunden erstmal im Kerzenschein arbeiten) mussten.

Als Geste der Versöhnung wollten wir ihm dann eine möglichst einfache Aufgabe stellen. In der HAFO-Schlussabstimmungsrunde verlor „Wie schlägt man eigentlich Bayern München?“ knapp gegen „Erzähl uns was über Uwe Seeler!“ Und siehe da: Sein Rattern kam uns gleich viel bodenständiger vor, und worauf wir nie gekommen wären, unsere Rechenmaschine fand es heraus: Die Oberliga Hamburg zeichnete am Wochenende Stationen der Seeler’schen Laufbahn nach – was für ein vorzeitiger Glückwunsch an das hiesige Fußballidol!

Zum Beispiel seine Nationalmannschafts-Karriere. Sein erstes von 72 Länderspielen bestritt Uwe Seeler 1954 unter Sepp Herberger, und der hat ja mal gesagt „Die Leute gehen zu Rugenbergen, weil sie wissen, dass da immer was los ist“. Nur, wie’s dort ausgeht, das weiß nicht einmal Rugenbergens Trainer Ralf Palapies, der nach dem 0:4 gegen Buchholz betrübt feststellte: „Wir sind zu schwankend in unseren Leistungen und haben den Gegner geradezu aufgebaut.“ Der Seeler-Satz dazu: „Wir erleben jeden Tag die traurige Wahrheit: Radfahrer fahren oft, wie sie wollen.“ Und Rugenbergen spielt, wie es will.

„Bei aller Wertschätzung für Wissen und Können“, betont Seeler: „Es geht nicht ohne Gefühle.“ Seit 1959 sind Ilka und Uwe Seeler verheiratet, und das Rezept einer langjährigen Ehe verrät der Gatte gerne: „Ich entscheide die großen Dinge und meine Frau die kleinen. Welche Dinge groß und welche klein sind, entscheidet Ilka.“

Der Elmshorner Glückspilz „Holly“ gehört eher zu den kleinen Dingen, war aber auch eine große Sache. Trainergattin Melanie Hollerieth entschied sich nach der überraschenden 1:2-Heimniederlage des FC Elmshorn gegen Condor, den Stoff-Talisman fortan nicht mehr wie gewohnt an der Eckfahne zu platzieren: „Ich werde mir etwas anderes einfallen lassen“, kündigte sie an. Wir harren gespannt der neuen kleinen Dinge mit großer Wirkung!

Condor hingegen feierte seinen Sieg beim Meister, was ja auch nicht so oft vorkommt. Seeler gewann mit dem HSV am 18. November 1967 mit 1:0 beim damaligen deutschen Meister Eintracht Braunschweig – ohne Holly, aber mit dem Siegtorschützen Jürgen Kurbjuhn, dessen Nachstell-Erbe auf Seiten der Raubvögel Tom Maas und Moritz Mandel teilten.

Selbst deutscher Meister wurde Uwe Seeler nur einmal, nämlich 1960. Damals gab es noch ein Endspiel, und in diesem ging der starke Westmeister 1. FC Köln kurz nach der Pause 1:0 in Führung. Trotzdem gewann der HSV, wobei Seeler nicht nur den 1:1-Ausgleich, sondern auch den 3:2-Siegtreffer erzielte. Kein Wunder also, dass Dassendorf als einzige Oberliga-Mannschaft, die am Wochenende nach Rückstand gewann, auch meisterlichen Anschein besitzt.

Statt Meisterschaft hieß es erstmal Meckerei, als Blankenese zur Halbzeit überraschend 1:0 führte. Weil das Aufeinandertreffen von Spitzenreiter und Schlusslicht aber doch noch einen erwarteten 4:1-Ausgang nahm, sah auch Trainer Jan Schönteich den Spielverlauf als positive Erfahrung für kommende Aufgaben: „Die Situation zu haben, in der Halbzeit zurück zu liegen, bringt uns weiter als irgendein 2:0.“ Für die Blankeneser bleibt als Nahziel, Seelers Bedenken zu widerlegen: „Ich befürchte, wir haben eine ganz einfache Begabung verloren: uns ganz einfach des Lebens zu erfreuen.“

In den Endfünfzigern des vergangenen Jahrhunderte profitierte Uwe Seeler (und der HSV) viel von Klaus Stürmer, einem gebürtigen Glinder, der 1961 zum FC Zürich wechselte. Heute Spitzenfußballer bringt man weniger mit Glinde als mit dem benachbarten Oststeinbek in Verbindung. Mohamed Labiadh deutete mit seinem 1:0 gegen Germania Schnelsen in der zweiten Minute an, dass der Mannschaftsabend nach dem Freitagsspiel von Fröhlichkeit geprägt sein würde. Im Gegensatz zum Vorwochen-Auftritt beim 8:0 in den Vierlanden verzichteten die Stormarner diesmal ganz bescheiden auf weitere Treffer. „Wir sollten wieder etwas bescheidener und einfacher werden“, hatte Seeler schließlich am selben Tag im Interview gefordert.

Als 1963 die Bundesliga begann, hatte Uwe Seeler schon zehn HSV-Jahre in der Oberliga hinter sich und doch nur drei Trainer erlebt: Georg Knöpfle, Martin Wilke und Günter Mahlmann. Der SC Alstertal-Langenhorn spielt gerade erst im vierten Monat Oberliga, aber für zwei Trainer hat es auch schon gereicht. Die schwelende Unzufriedenheit der Mannschaft mit Oliver Kral veranlasste den Vorstand zum Wechselspiel auf der Bank. Niko Peters übernahm, konnte beim Heim-0:4 gegen Curslack-Neuengamme aber noch keine Impulse setzen.

Deutlich impulsiver präsentierte sich Niendorfs Serhat Yapici, der nach einer halben Stunde bei Altona 93 wegen eines „Kieferkniffs“ vom Platz flog und auch zwischen Rasenrechteck und Umkleidekabine kaum zu besänftigen war. ( http://www.youtube.com/watch?v=GyR6cJqjMzY) Ältere Besucher mochten sich da an Uruguays Nationalspieler Horacio Troche erinnern, dessen Ruf in Deutschland weniger von seiner kurzen Zeit bei Alemannia Aachen geprägt ist, sondern von der Backpfeife, die er Uwe Seeler nach seinem Platzverweis im WM-Viertelfinale 1966 gab.

Eine Ohrfeige war’s bei Yapici nicht, aber „das ist so nicht zu akzeptieren“, bekundete Niendorf-Manager Carsten Wittiber sein Missfallen. Schwer zu akzeptieren war für ihn auch der Altonaer Siegtreffer in der Nachspielzeit durch Francis Gyimah, weil Wittiber gleich vier Gegner im Abseits wähnte.

Egal, ob regulär oder nicht – als umstrittenster Treffer der Fußballgeschichte dürfte Gyimahs 2:1 das Wembley-Tor von 1966 wohl kaum verdrängen. „Warum sollen wir nach vorne gucken? Es bringt ja derzeit nichts“, seufzte Bramfelds Trainer Hardy Brüning nach der 0:5-Heimklatsche gegen Vierlande, und auf dem Bildschirm unseres Elektronenhirns tauchte blitzschnell das Foto auf, wie Seeler nach der Niederlage im WM-Endspiel mit seinem Blick gen Boden das Wembley-Stadion verließ. ( http://www.dfb.de/uploads/tx_rgsmoothgallery/1966-Uwe-Seeler.jpg)

Zu Seelers bekanntesten Begegnungen gehört das „Spiel des Jahrhunderts“ im WM-Halbfinale 1970, als die DFB-Elf gegen Italien nach Verlängerung 3:4 unterlag. Zuvor blieb die DFB-Elf sieben Spiele unbesiegt, was damals viele Zeitgenossen beeindruckte, weil sie zwar schon Farbfernsehen hatten, aber die SV Halstenbek-Rellingen noch nicht kannten. Die SVHR ist nach dem 2:0 gegen Barmbek-Uhlenhorst nunmehr ein volles Dutzend Spiele unbesiegt; der siebte Sieg in dieser Serie lag vor allem an Patrick Hoppe, der beide Treffer erzielte. War es ein Tribut an Seelers großen Einsatz 1970, an sein „No grazie!“ zum Angebot von Inter Mailand, an die Fußballgeschichte im Allgemeinen oder doch nur an den Gaumen der Einzelnen, dass die Mannschaft ihre Erfolgsserie in der italienischen „Trattoria Rocco“ feierte? Wir wissen es nicht genau, denken uns aber bei Lasagne al Pesto con Zucchini unseren Teil.

„Was wir dringend brauchen, zumindest ein bisschen mehr, ist Herzlichkeit und Freundlichkeit“ – mit diesem Satz sprach sich Seeler in die Herzen des Meiendorfer SV und des VfL Pinneberg, die sich schiedlich, friedlich, herzlich und freundlich 0:0 trennten. In der ersten Hälfte dominierte Pinneberg, in der zweiten war Meiendorf am Drücker. Doch die Tore schienen wie vernagelt. Es ließe sich auch sagen: Alle Schleusen blieben dicht. Und wir erinnern uns daran, dass Uwe Seeler nicht nur seit 1972 Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft ist, sondern seit 1982 auch Hamburger Ehrenschleusenwärter.


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