13.02.2015 Victoria lernt auf und neben dem Platz von Olaf Both
von Mirko Schneider
vs.
SC Victoria – Altona 93 2:1 (1:1)
SC Victoria: Ralfs – Tanidis, Rabenhorst, Wacker, Carolus – Thiessen, Iscan – Boock, Sidiropoulos (73. Edeling) – Cetinkaya – Ebbers Altona 93: Curia – Hadid, Clausen, Theißen, Domazet – Niemeyer (76. Carallo) – Aug, Hansen – Segedi (68. Brügmann), Sachs – Körner (76. Sumic) Tore: 1:0 Ebbers (30., Vorlage Boock), 1:1 Segedi (33., ohne Vorarbeit), 2:1 Boock (59., ohne Vorarbeit). Schiedsrichter: Marcel Hass (TuS Osdorf): Hatte stets die richtige Entscheidung parat. Behielt zudem trotz der Unruhen auf den Rängen die Ruhe und setzte Spielunterbrechungen zur Deeskalation der Lage absolut angemessen ein. Eine sehr gute Leistung! Besondere Vorkommnisse: Das Spiel begann aufgrund des Zündens von Pyrotechnik im Altonaer Block mit wenigen Minuten Verspätung. Es musste in seinem Verlauf mehrfach unterbrochen werden (Pyrotechnik, Böllerwürfe, Prügelei, siehe Bericht) Beste Spieler: Boock, Ebbers – Sachs (1. HZ) Zuschauer: 958
Aus Sicht der Verantwortlichen des SC Victoria dürfte dieser Spielbericht gar nicht so anfangen, wie er nun gleich anfängt. „Hier wird mehr über so einen Scheißdreck an der Seite diskutiert als über ein Fußballspiel, und das finde ich traurig“, sprach Victorias Trainer Lutz Göttling das finale Schlusswort einer hitzigen Pressekonferenz nach dem 2:1-Erfolg seines Teams über Altona 93. Göttling erntete etwas Applaus sowie zustimmendes Kopfnicken im Lager des SC Victoria. Doch dieser Spielbericht beginnt trotzdem mit der simplen Feststellung, die der aufmerksame Leser bereits in der Statistik unter „Besondere Vorkommnisse“ lesen konnte: Das Spiel startete mit wenigen Minuten Verzögerung. Altonas Fans hatten die eigene Mannschaft in deren Hälfte durch rote Pyrotechnik-Fackeln eingeräuchert. Behalten Sie das im Hinterkopf, während sie nun die erste halbe Stunde des Spiels genießen.
Wobei sich der Genuss in der ersten Viertelstunde für unterhaltungsaffine Torchancen-Fetischisten doch arg in Grenzen hielt. Ein abgefälschter Schuss von Marius Ebbers (5.) neben das Tor war der einzige Höhepunkt. Altona seinerseits meldete sich in der 18. Minute gleich doppelt offensiv in der Partie an. Eine schöne Freistoßvariante führte zu einem Kopfball von Innenverteidiger Dennis Theißen, den Victorias Schlussmann Kevin Ralfs parierte. Die anschließende ebenso schöne Eckenvariante führte nur deshalb nicht zur Führung der Gäste, weil im Getümmel zwei nicht auszumachende AFC-Spieler sich gegenseitig im Weg standen. Der eine köpfte dem anderen den Ball aus zwei Metern an die Hand statt ins leere Tor – Künstlerpech!
So fiel das 1:0 auf der anderen Seite. Einen blitzsauberen Angriff über rechts brachte der starke Boock flach in die Mitte. Cem Cetinkaya, stets knapp hinter Ebbers als hängende Spitze postiert, rutschte vorbei, doch der Ex-St.-Pauli-Stürmer stand goldrichtig und schob die Kugel lässig ins Netz (30.). Das Glücksbarometer beim SCV sank jedoch sofort wieder. Marcus Rabenhorst, in der ersten Hälfte mit einigen Unsicherheiten, trat bei einem Abwehrversuch im Strafraum auf einen Rasensprenger mit zehn Zentimetern Durchmesser (Göttling: „Davon gibt es im ganzen Stadion nur acht“) und krabbelte als Konsequenz daraus auf dem Boden dem Ball hinterher. Altonas Jan Luka Segedi nutzte die Situation eiskalt aus und traf in die kurze Ecke zum Ausgleich (33.). Das erfreute ein paar Altona-Anhänger in Block D so sehr, dass sie die zweite Pyro-Runde zündeten. Victorias Fans in Block C zündeten nun auch eine gelbe Fackel und Stadionsprecher Peter Kraft mahnte auch sie dazu, schleunigst damit aufzuhören. Aber hier soll es ja eigentlich um Sport gehen.
Zum Beispiel um die große Chance von Laurel Aug nach einer Hereingabe des in der ersten Hälfte recht agilen Altonaers Jakob Sachs. Ralfs parierte abermals gut (42.). Marius Ebbers verzog dann noch einmal (43.) und es war Pause.
Die zweite Halbzeit begann dann fast wie die erste: ein bisschen Pyrotechnik, diesmal garniert mit einem Böller, und eine Ebbers-Chance (größer als die in Hälfte eins), doch der Drehschuss landete neben dem Tor. Altona agierte in seinem 4-3-3 – oder, für die Taktikliebhaber, 4-1-2-2-1 – nun merkwürdig uninspiriert. Das lag auch daran, das Victoria nun besser stand, durch die Halbzeitansprache von Göttling offenbar einiges gelernt hatte und gleich umsetzte. „Wir haben in der zweiten Hälfte nach vorne nichts mehr gemacht und die Bälle zu schnell verloren“, sollte Altonas Trainer Oliver Dittberner hinterher richtig analysieren. Einen entscheidenden Ball bekamen sie zudem gar nicht erst – denn Vincent Boock gab ihn nicht mehr her. 25 Meter vor dem Tor wurde Boock rechts angespielt, vernaschte vier Gegenspieler und schob zum 2:1 ein (59.). „Eine tolle Einzelleistung. Das hätten wir vom Zweikampfverhalten her aber besser verteidigen können“, fand Dittberner. Kein Widerspruch! Und hätte Boocks Hammer- Volleyschuss zehn Minuten nach dem 2:1 im Netz gezappelt, hätte sich auch kein AFC-Akteur beschweren können, so frei wie der Außenbahnspieler am Sechzehner zum Schuss kam.
Doch nun kam die Zeit, in der das Sportliche endgültig in den Hintergrund rückte. Circa 15 Gestalten mit einer roten Pyrotechnik-Fackel tauchten in der 70. Minute auf dem Hügel hinter Block C auf, wo die Fans des SC Victoria standen. Da ein Fluchttor laut Beschreibung einiger Fans geöffnet war, fand sich im Nachhinein schnell eine Erklärung dafür, warum auf dem Hügel nun ein kurzes Handgemenge der Fanlager entstand. Dieses beruhigte sich erst, um wenige Minuten später erneut für kurze Zeit, allerdings umso intensiver, aufzuflammen. Schiedsrichter Marcel Hass unterbrach zweimal die Partie, die letzten Minuten sicherte die herbeigerufene Polizei den Block C.
Auf der Pressekonferenz war das Ansinnen der SCV-Verantwortlichen dann bereits bei der Einleitung ersichtlich. „Es gab einige unangenehme Randerscheinungen, aber wir wollen über das Sportliche sprechen“, sagte Teambetreuer Oliver Sextro zu Beginn der Pressekonferenz. „Man sollte solchen Menschen kein Forum bieten, indem man in den Hamburger Medien darüber schreibt“, fand Lutz Göttling. "Ich würde nicht darüber schreiben", unterstützte ihn Oliver Dittberner. Dummerweise verschwand aber hinter diesem durchaus umstrittenen Argument (der Grad für Journalisten zwischen Sensationsgeilheit und vorauseilender Selbstzensur stattgefundener Ereignisse neben dem Platz, die das Spiel klar beeinflusst haben, ist nämlich verdammt schmal) auch die Diskussion um das fragwürdige Sicherheitskonzept an diesem Abend, also wollte die liebe Presse das Ganze dann doch nicht einfach auf sich beruhen lassen.
Flugs war eine kontrovers und emotional geführte Diskussion im Gange. Victorias Vorstandsmitglied Heinrich Helmke gab die Schuld für die Schlägerei „unter allem Vorbehalt“ den Fans der Gäste, was Altonas Manager Andre Jütting zu einer Gegenrede veranlasste. Kernsätze: „Schuldzuweisungen bringen jetzt nichts. Das Ganze muss aufgearbeitet werden.“
Victorias Präsident Hemuth Korte wies auf den Knaller hin, der vor der Schlägerei vom Hügel in Block C der Victoria-Fans geworfen worden sein soll, „wobei ich nicht weiß, von wem der kam, aber derjenige hat einen Schaden“, so Korte. Seine Erklärung, man könne „ein solches Traditionsderby nicht von vorneherein durch große Polizeipräsenz herunterfahren“, verwunderte allerdings sehr. Ebenso wie die Replik auf den Hinweis, in der Regionalliga sei die Polizei präsenter gewesen. „Da saß sie“, so Korte, „oben im Container und hat sich nett unterhalten“.
Genau an dieser Stelle lässt sich nüchtern gesagt für den SC Victoria etwas lernen. Denn offensichtlich benötigt das größte Traditionsderby Deutschlands zwischen dem SC Victoria und Altona 93 grundsätzlich eine gewisse Polizeipräsenz, um Szenen wie heute zu verhindern. Und spätestens, wenn diese Polizei erst 15 Minuten nach einer Massenschlägerei eintrifft, wird das nur allzu offensichtlich. In künftigen Sicherheitsbesprechungen sollte das stets berücksichtigt werden (und selbstverständlich gilt das auch für Altona 93 und die Partien der beiden Teams an der Adolf-Jäger-Kampfbahn).
Denn im Grunde liegt Lutz Göttling ganz richtig. Was da passiert ist, das ist „Scheißdreck“. Nur: Auch wenn dieser „Scheißdreck“ heute wesentlich stärker von einigen Fans von Altona 93 ausging (und solche Ereignisse natürlich nie ganz zu verhindern sind), so ist ein Verein als Gastgeber nicht machtlos. Eine stärkere Polizeipräsenz gleich zu Spielbeginn oder ein früheres Verständigen der Ordnungshüter wäre absolut angebracht gewesen. Was nämlich passiert wäre, wie ein Besucher meinte, wenn „noch mehr Fans Lust auf eine Schlägerei gehabt hätten“, mag man sich gar nicht vorstellen. Daher greift die Anklage an die Medien („Bietet denen kein Forum“) eindeutig zu kurz. Denn es geht darum, diesen „Scheißdreck“ so gut zu verhindern, wie es eben möglich ist. Und ob dies nur dadurch funktioniert, dass die Hamburger Medien schweigen, erscheint mehr als fragwürdig.
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