05.04.2015 Rückblick: Der springende Punkt liegt bei Pinneberg von Folke Havekost
Nun ist es also doch einen Tag zu spät geworden, um noch pünktlich zu sagen: Herzlichen Glückwunsch, Dettmar Cramer! Am Ostersonnabend ist der weltgereiste Fußballlehrer 90 Jahre alt geworden. Bei dem rasanten Tempo, das der Altmeister in seinem Trainerleben vorgelegt hat, mag man uns die leichte Verspätung verzeihen. Schließlich gratuliert der Hamburger Spitzenfußball sogar erst morgen: mit vier Pokalgängen und einem Heimauftritt des Oberliga-Spitzenreiters VfL Pinneberg.
In über 90 Ländern war der langjährige Assistent von Sepp Herberger damit beschäftigt, als „Fußballprofessor“ das Wissen um die vieleckige Kugel aus Leder, später dann aus Plastik zu vermitteln. Die FAZ sieht in ihm den Wegbereiter für Trainer wie Pep Guardiola. In seiner kurzen Zeit als Vereinscoach hat Cramer mit Bayern München den Weltpokal und zwei Europapokale gewonnen, nie jedoch die deutsche Meisterschaft.
Hamburger Meister ist Michael Fischer auch noch nicht geworden, aber der Trainer des VfL Pinneberg ist so dicht dran wie nie zuvor. „Bei uns wehrt sich keiner gegen die Meisterschaft, auch wenn das heute so ausgesehen haben mag“, sagte Fischer nach dem gründonnerstäglichen 0:0 seines VfL in Buxtehude. Die Fussifreunde sahen bei der Nullnummer viele Pinneberger Chancen, „aber auch viel Leerlauf“ ( http://www.radiohamburg.fussifreunde.de/artikel/pinneberg-laesst-buxtehuder-boecke-ungenutzt/): Flemming Lüneburg, Tim Jeske, Thorben Reibe und Jan-Philipp Zimmermann vergaben Einschussgelegenheiten, von denen Fischer mit Blick auf die Torjäger der Konkurrenten Victoria und Dassendorf annahm: „Ebbers oder Agyemang hätten bei den Chancen mit Badelatschen zwei Tore gemacht.“
„Der Ball ist der springende Punkt“, lautet ein berühmter Satz von Dettmar Cramer. Und dieser Ball liegt jetzt beim VfL, wenn er in Pinneberg auch manchmal ein holpernder Punkt ist. Nach zahlreichen Klagen über den Zustand des Rasens im Pinneberger „Stadion 1“ machte sich der städtische Platzwart mit einer Ostersonnabendsonderschicht im Treckerwalzen verdient um die Aussöhnung zwischen Kreisstadtverwaltung und Verein für Leibesübungen. Das Spiel des Spitzenreiters gegen Altona 93 am Ostermontag soll jedenfalls stattfinden – mal sehen, ob dann mehr als ein Punkt Vorsprung auf die Verfolger für den VfL herausspringt.
Mit dem Punkt am Gründonnerstag war Buxtehude zufrieden. BSV-Coach René Klawon, dem im HAFO-Forum zuletzt ja sowohl eine Medienschulung als auch ein Klosteraufenthalt nahegelegt wurden ( http://www.hafo.de/hafosmf/index.php?topic=1277.75), meinte jedenfalls: „Hätte mir das Ergebnis vor dem Spiel jemand angeboten, hätte ich es sofort genommen.“ Die Kicker aus der Hase-und-Igel-Stadt sammeln ihre Pünktchen mit der Beharrlichkeit eines Eichhörnchens. Und dass sie sich mit gerade 19 Zählern fast schon in Sicherheit wiegen können, ist nicht die Schuld des BSV, sondern liegt an Elmshorn, Vierlande und Schnelsen.
Die Schnelsener Germanen konnten auch von Personalnotstand und Frühjahrsmüdigkeit der Meiendorfer Gastgeber nicht profitieren, obwohl nicht einmal so recht von einem Auswärtsspiel die Rede sein konnte. HAFO-Reporter Peter Strahl konnte sich angesichts von 125 Besuchern an „keine einzige Meiendorfer Heim-Begegnung erinnern, die nur so wenige Zuschauer sehen wollten.“ ( http://www.hafo.de/news/fullnews.php?id=5602) Robert Subasic und Bazier Sharifi sorgten für ein standesgemäßes 2:0, zwischen den beiden Toren hatten die Schnelsener bei einem Lattentreffer von Alan Dudiev Pech.
An Gerd Müller reicht Sousa noch nicht heran, aber der Barmbeker Sieg war damit gesichert. Apropos Müller: Als wir 2007 den damals schon über 80-jährigen (und nach eigener Aussage seit fünf Jahren im Ruhestand befindlichen) Dettmar Cramer in Reit am Winkl besuchten, um ihn zu Gerd Müller zu befragen, erhielten wir weit mehr als Auskünfte über den Bayern-Knipser.
Einblicke in Trainer-Stürmer-Dialoge: „Gerdchen, du spielst auf dem falschen Posten. Das musst du doch verstehen. – „Und Sie müssen verstehen, dass deren Stopper mich irgendwann tot tritt!“ Die Müller’sche Strafraumstrategie: „Wenn du wie ein Pilz stehen bleibst, bist du plötzlich frei und der Ball kommt. Wenn alles steht und nach dem Ball guckt, dann zischt du zum ersten Pfosten und machst das Tor.“ Die Analyse des Phänomens: „Es war ein ungewöhnliches Zusammenspiel des neuro-muskulären Systems, das ihn perfekt machte.“ Und natürlich Aussagen zum großen Ganzen: „Einfachheit gewinnt die Spiele, die Kompliziertheit verliert sie. Die Schönheit der Ballspiele ist die Dynamik, aber die wirkliche Schönheit des Fußballs ist die Effektivität.“
Zwischendurch fuhr uns Cramer noch in seinem Wagen die südbayrische Berglandschaft auf und ab. Völlig erschöpft wankten mein Kollege und ich nach acht Stunden in unsere Pension zurück. „Seine Präsenz war beeindruckend, manchmal kam er mir wie ein aufgedrehter Automat vor, der stundenlang reden kann. Dettmar Cramer neigt zum Monologisieren. Aber es sind Monologe, bei denen es sich zuzuhören lohnt“, erinnert sich Begleiter Volker Stahl, der im aktuellen kicker Pinnebergs Pendant, den Niedersachenliga-Spitzenreiter SV Drochtersen-Assel porträtiert hat (nur im Print verfügbar).
Nach ihrem 3:1 gegen die Vierländer hat auch BU noch die Spitze im Blick, vor allem war der Arbeitssieg aber eine gelungene Generalprobe fürs morgige Pokalviertelfinale gegen den Niendorfer TSV. Die Niendorfer hatten es etwas schwerer und mussten einen 1:2-Pausenrückstand drehen, um schließlich gegen Buchholz noch 3:2 zu gewinnen. Auch der NTSV hatte seinen müllernden Sousa, der musste allerdings Geduld beweisen.
„Er kommt rein und schimpft dann erst einmal zehn Minuten vor sich hin, bis er in Fahrt kommt, aber danach kann man nicht meckern“, sagte Trainer Ai Farhadi über seinen Edeljoker Serhat Yapici, der 63 Minuten auf der Bank wartete und dann mit zwei Treffern das Geschehen wendete. „Fußball ist ein Spiel aus Raum und Zeit“, würde Dettmar Cramer dazu wohl anmerken. „Ich habe heute keinen Ball gehalten“, staunte der Buchholzer Torwart Henrik Titze derweil über die praktisch hundertprozentige Chancenverwertung der Niendorfer – auf ein Elfmeterschießen sollte es BU im Pokalspiel also nicht ankommen lassen ... ( http://www.hafo.de/news/fullnews.php?id=5603)
„Ich hatte nie das Gefühl, dass wir verlieren werden“, gab Niendorfs Coach Farhadi seine Eindrücke der 90 Minuten wieder: „Im schlimmsten Fall hätte ich gesagt: Okay, dann spielen wir eben unentschieden, das passt.“
Ein Unentschieden gab es zu fast gleicher Zeit am Berner Heerweg, doch Dassendorfs Trainer Jan Schönteich fand das 1:1 seiner Elf beim SC Condor gar nicht passend. „Das ist die Mutter aller gefühlten Niederlagen“, grummelte Schönteich, der in Sachen Hamburger Meisterschaft wiederholen will, was Dettmar Cramer mit dem Europapokal der Landesmeister 1975 und 1976 gelang: die erfolgreiche Titelverteidigung.
Bis weit in die Nachspielzeit sah es tatsächlich so aus, als würde nicht Pinneberg, sondern Dassendorf den größten Teil der Ostertage an der Oberliga-Spitze verweilen. Die Sachsenwalder traten laut Condor-Coach Christian Woike mit dem „brutalen Pressing eines brutal starken Gegners“ auf, der von PI-Trainer Fischer gepriesene Eric Agyemang verwertete einen sehr umstrittenen Foulelfmeter zur Mutter aller Führungen. Badelatschen hatte er nicht dabei, wohl aber seine Tochter am Spielfeldrand. ( http://www.hafo.de/news/fullnews.php?id=5604)
Auch sie sah, wie die Raubvögel sich im Laufe der zweiten Hälfte zurück ins Spiel kämpften. 90 Minuten waren ohne Veränderung des Resultats abgelaufen, doch als der Schlusspfiff ertönte, standen zwei Spieler weniger auf dem Platz und ein Tor mehr auf dem Berichtsbogen. Die Dassendorfer Seyhmus Atug und Tobias Kehr verabschiedeten sich mit Gelb-Rot und Rot spät, aber doch noch „frühzeitig“ zum Duschen. Alexander Krohn schlug eine Ecke, Kristoffer Laban verlängerte, Max Anders knipste und Jan Schönteich hatte an seiner alten Spieler-Wirkungsstätte sein Déjà-vu: „Bekanntlich gehen Spiele gegen Condor über 94 Minuten. Zum dritten Mal haben wir das nicht optimal gelöst und zum dritten Mal wurden wir um zwei Punkte gebracht.“
„Es hängt alles irgendwo zusammen“, sagt der Professor dazu: „Sie können sich am Hintern ein Haar ausreißen, dann tränt das Auge.“ Ein Spiel kann länger dauern als 90 Minuten, ein Leben länger als 90 Jahre. Dettmar Cramer wünschen wir ganz viel Nachspielzeit und allen Pokal-Viertelfinalisten einen frohen Ostermontag – ob nun mit oder ohne Verlängerung.
P.S.: Damit der Rückblick noch ein bisschen mehr zur Vorschau wird, hier in Kürze die wichtigsten Partien des Ostermontags:
Oddset-Pokal, Viertelfinale:
SC Condor – SC Victoria 11.30 Uhr, Berner Heerweg (Oberliga: 0:4/2:2) HAFO-Tipp: 1:2 nach Verlängerung
HSV Barmbek-Uhlenhorst – Niendorfer TSV 14 Uhr, Steilshooper Straße (Oberliga: 3:2/1:3) HAFO-Tipp: 6:7 nach Elfmeterschießen
Sofern nicht anders gekennzeichnet, sind alle Texte, Grafiken, Videos und Fotos Eigentum von www.hafo.de. Anderweitige Verwendung nur mit vorheriger Genehmigung.