28.09.2015 Rückblick: Das Voigt-Hoeft-Prinzip von Folke Havekost
Alle reden über Robert Lewandowski, wir reden übers Voigt-Hoeft-Prinzip. Was zunächst nach einer komplizierten Theorie klingt, für die in genau einer Woche der Nobelpreis für Biologie vergeben werden könnte, ist in Wirklichkeit nichts anderes als die einfache Anpassung intelligenter Oberligakicker an die evolutionären Maßgaben der HAFO-Vorschau.
„Wir hatten Krisen, wir hatten Trends, wir hatten Schubladen, aber wir hatten noch keine Effektivitätstheorien“, beklagte unser Kollege Olaf Both dort ( http://www.hafo.de/news/fullnews.php?id=5736) und lieferte prompt den Mangel bekämpfende Prognosen. Das hat uns keineswegs erstaunt, wurde seine Funktion als „efficiency expert“ doch schon 1921 vom Tarzan-Erfinder William Rice Burroughs beschrieben, als Both noch unter dem Tarnnamen „Jimmy Torrance“ die International Machine Company in Chicago aufmöbelte. ( https://en.wikipedia.org/wiki/The_Efficiency_Expert_(novel) )
Aus der Hochzeit von Fließbandproduktion und industriellem Optimismus haben wir gelernt, dass 1:0-Siege immer noch die schönsten sind. Optimaler Ertrag bei minimalem Einsatz, bloß kein Tor vergeuden ... daran hielten sich am Wochenende sowohl Meister Dassendorf als auch Tabellenführer Barmbek-Uhlenhorst. BU blieb durch den Knappsieg in Süderelbe als einzige Mannschaft ungeschlagen, Jan Hoeft nutzte nach 84 Minuten eine der wenigen Barmbeker Chancen. „Weil die so ein Spiel gewinnen können, stehen sie ja auch ganz oben in der Tabelle“, beschrieb Süderelbes Coach Jean-Pierre Richter die Effizienz der Gäste.
Ebenfalls in die Effizienzklasse A gehörte die TuS Dassendorf, deren Trainer Jan Schönteich ja eine „Effektivitätskrise“ seiner Elf festgestellt hatte. Beim 1:0 über Halstenbek-Rellingen wäre es allenfalls einen kleinen Tick effizienter gegangen, falls der langgezogene Freistoß von Sascha Steinfeldt direkt im HR-Tor gelandet wäre. Adrian Voigt ging noch mit seinem Schienbein hin, doch das erschien uns als durchaus vertretbare Steigerung des Torproduktionsaufwands. ( http://www.hafo.de/news/fullnews.php?id=5737)
Schönteich freute sich schließlich, dass seine Mannschaft „das 1:0 irgendwie über die Zeit bekommen“ hatte: „Wer geglaubt hat, dass wir in der Phase, in der wir uns gerade befinden, die Sterne vom Himmel holen, der hat Fußball nicht verstanden.“ Uns kam derweil zu Ohren, dass die Diskjockeys im Sachsenwald Frank Sinatras Astronautenklassiker ( https://www.youtube.com/watch?v=mQR0bXO_yI8&list=RDmQR0bXO_yI8#t=11) immer öfter durch einen bodenständigeren Spencer&Hill-Remix von „Right on time“ ersetzen. ( https://www.youtube.com/watch?v=OuiJUiUAQB0)
Auch der dritte Vertreter des Vorjahresspitzentrios spielte 1:0. Für den SC Victoria war das aber nicht besonders effizient, denn das Tor schoss Rafael Kamalow – ein alter Bekannter im Trikot des SC Condor, der den Hoheluftern in der vergangenen Saison schon die Tür zum Pokalhalbfinale zugeknallt hatte. ( http://www.hafo.de/news/fullnews.php?id=5607) „In letzter Zeit scheint mir Vicky irgendwie zu liegen“, stellte Kamalow fest, nachdem er in der 78. Minute aus einem Meter zum Sieg abgestaubt hatte. ( http://www.hafo.de/news/fullnews.php?id=5739) Es gibt sie ja, die Lieblingskontrahenten, gegen die man heißläuft und gegen die die eigene Effektivität deutlich erhöht ist.
Für Matthias Stuhlmacher bedeutet Effektivität ganz einfach: Altona 93 kommt. Als Meiendorfer Trainer gelangen ihm vier Heimsiege in Folge (5:0, 3:2, 3:2, 2:1) gegen die Altonaer, als Coach des FC Türkiye setzte er die Serie mit einem 2:1 einfach fort. Auch das neue Algantona, davor sehr erfolgreich, konnte die Serie nicht stoppen – vor allem, weil die Wilhelmsburger das Gästetor in den ersten 20 Minuten so überzeugend bestürmten, dass Umut Kocin gleich zwei Treffer vorlegen konnte. Das Anschlusstor von Felix Brügmann nach der Pause konnte Stuhlmachers Definition von Effektivität („schnelle Füße, schnelle Pässe“) nicht mehr erschüttern. Abzuwarten bleibt, ob diese Auffassung auch jenseits von Begegnungen mit Altona Erfolg zeitigt. ( http://www.hafo.de/news/fullnews.php?id=5738)
Während Türkiye mit seinem oberligaerfahrenen Coach zum ersten Heimsieg kam, sitzt bei Stuhlmachers Ex-Klub Meiendorf derzeit Betreuer Andreas Hagenow auf der Bank. Nur garstige Menschen würden behaupten, dass die Meiendorfer Mannschaft auch eher einen Betreuer benötigte als einen Trainer. Wir fragen uns eher, ob das Meiendorfer Modell neue Wege zur Effizienz eröffnet. Nach Hagenows sensationellem Einstand beim 3:1 in Buchholz musste in Niendorf mit 0:2 allerdings ein Rückschlag verbucht werden. Dennoch bleibt der Betreuer als Interimstrainer auf der Bank, bis in aller Ruhe ein neuer Coach gefunden worden ist, wie Vereinschef Jens Malcharczik erklärte. Klingt ein bisschen so wie bei Borussia Mönchengladbach und André Schubert, und ein gutes Fohlen springt ja auch nicht schneller als es muss. ( http://www.hafo.de/news/fullnews.php?id=5740)
Was eine gute Taube so macht, würden wir gerne erfahren – allein, es fehlt uns das fußballornithologische Anschauungsobjekt. Der USC Paloma stürzte durch das 1:5-Heimdebakel gegen Buchholz 08 auf einen Abstiegsplatz. „Wie ein Absteiger“ habe die Mannschaft zumindest in der zweiten Hälfte auch gespielt, befand Paloma-Präsident Dirk Rathke und legte sich mit einigen Kickern noch mehr an als Mats Hummels mit seinen Dortmunder Kollegen. „Die Mannschaft leidet auch unter der Disziplinlosigkeit einiger Spieler, die unnötige Platzverweise kassieren“, wetterte Rathke und stellte sich dabei gleichzeitig hinter Trainer Olufemi Smith: „Er sitzt fest im Sattel. Eher trennen wir uns von einigen Spielern.“ ( http://www.abendblatt.de/sport/article205802059/Meiendorf-vertagt-Trainerentscheidung.html) Für die Gäste bleibt nur festzustellen: Hätten die Buchholzer ihr letztes Heimspiel gegen Meiendorf gewonnen, sie stünden mittlerweile auf Tabellenplatz zwei.
Solche luftige Höhen erklomm in der Vorsaison auch der VfL Pinneberg. Doch davon ist die aktuelle Elf so weit entfernt wie José Mourinho von einem Publikumspreis. Nun ging auch das Kreisderby gegen den SV Rugenbergen 1:2 verloren; der Verlauf war deutlicher als das Ergebnis, der Pinneberger Treffer fiel erst in der Nachspielzeit.
Die wiederum fiel sehr lang aus, weil Rugenbergens Jan Düllberg bei einem Zweikampf die Kniescheibe heraussprang. Der Bönningstedter Mittelfeldspieler lag lange auf dem Rasen, wurde dann ins Krankenhaus gebracht und konnte mit Gehhilfen wieder auf den Platz zurückkehren, um den Derbysieg zu feiern. Hoffen wir, dass sich Effektivität und Effizienz hier vor allem in der medizinischen Behandlung zeigen. ( http://www.abendblatt.de/region/pinneberg/sport_137/article205801297/Schwere-Verletzung-ueberschattet-das-Oberligaderby.html)
Düllbergs Verletzung überschattete einen Sonntagnachmittag, der so gar nicht im Effektivitäts-Zeichen von Wissenschaft und Wirtschaftlichkeit stand. Stattdessen traten Concordia und Curslack auf den Plan. Waren es wilde Räusche, tolle Torfestivals oder doch nur die akzeptablen Ausnahmen, die das Voigt-Hoeft-Prinzip letztlich bestätigen? Cordis Benjamin Bambur wollte einen polnisch-bajuwarischen Knipser namens Lewandowski jedenfalls nicht vollkommen in Vergessenheit geraten lassen und traf beim 7:1-Kantersieg überflüssigerweise gleich viermal ins Netz des Buxtehuder SV.
„Er wurde von seinen Mitspielern überragend in Szene gesetzt und stand immer goldrichtig“, schilderte Cordi-Manager Florian Peters. Buxtehudes Trainer Sven Timmermann, der sich zuletzt über effektives Punktesammeln seiner Schützlinge freuen konnte, fand deutliche Worte: „Hintenraus glich das schon einer Arbeitsverweigerung. Mit so einer Einstellung kommt man in der Oberliga nicht weit.“ Ob seine Brandrede effektiv ist, wird die Zukunft zeigen. ( http://radiohamburg.fussifreunde.de/artikel/viererpack-bambur-nimmt-buxtehude-auseinander/)
Dass die Forderung nach Effizienz manchmal von der Sehnsucht nach Spektakel verdrängt wird, dokumentierte auch Curslack-Neuengamme, als es den labilen Lurupern zehn Treffer einschenkte und ihnen damit die erste zweistellige Niederlage der Saison zufügte. Dass die Vergangenheit schon im Jahr 2013 noch höhere Luruper Niederlagen (0:11 in Rugenbergen) zu bieten hat, sagt über die Zukunftsperspektiven der aktuellen Mannschaft leider überhaupt nichts aus. Eine Theorie, wie der SV Lurup effektiv in der Oberliga ankommen könnte, hätte wirklich einen Nobelpreis verdient.
P.S.: Wegen der bevorstehenden Nobelpreisvergaben hier noch die formelhafte Fassung des Voigt-Hoeft-Prinzips zur Messung der Toreffizienz in der Oberliga Hamburg:
E = ∑ P/{T(P)+1} - T(N)
E: Toreffizienz P: erzielte Punkte in einem Spiel T(P): erzielte Tore in einem gewonnenen oder unentschiedenen Spiel T(N): erzielte Tore in einem verloren Spiel
Zur Erläuterung: Die punktenden Mannschaften eines Spieltags erhalten den Quotienten aus ihren Punkten und der Zahl der erzielten Tore plus eins gutgeschrieben. Plus eins, weil Teilen durch Null ähnlich doof ist wie ein verschossener Elfmeter. Ein 1:0 ergibt folglich die Effizienz-Höchstwertung von 3/1+1=1,5 Punkten. Ein 3:3 ergibt für beide Teams 1/3+1=0,25 Punkte. Verlierer erhalten dagegen die Zahl ihrer (vergeblich) erzielten Treffer als Minuspunkte, ein 4:5 steht also mit -4 zu Buche, während ein 0:10 nichts am Punktestand verändert, weil ja keine eigenen Tore „verschwendet“ worden sind.
Nach neun Runden ergibt sich daraus folgender Toreffizienzstand (in Klammern der Rang in der Oberliga- Tabelle):
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