04.05.2016 Ein Team wie Steffi Graf von Mirko Schneider
vs.
SC Condor – HSV Barmbek-Uhlenhorst 2:5 (0:3)
SC Condor: Kleinschmidt – Hamdan (46. Hoeling), Anders, Krohn – Mellmann, Künkel – Kamalow (68. Klaes), Daudert – Özalp, Flores (85. Laban), Theis HSV Barmbek-Uhlenhorst: Tholen – Clausen, Lange, Lux – Hüttner (82. Polzin), El Nemr – Merkle, Odabas (43. Hoeft) – Labiadh – Korczanowski (73. Sa Borges Dju), Keunemann Tore: 0:1 Labiadh (24., Vorarbeit Korczanowski), 0:2 Keunemann (31., ohne Vorarbeit), 0:3 Korczanowski (45., Clausen), 0:4 Korczanowski (52., Merkle), 1:4 Flores (77., Mellmann), 1:5 Hoeft (77., El Nemr), 2:5 Klaes (80., Özalp) Schiedsrichter: Thorsten Bliesch (Niendorfer TSV): mit ein paar Schwächen in der Zweikampfbewertung. Verbal voll auf der Höhe und mit guten Ansagen. Ohne spielentscheidende Fehler Beste Spieler: Daudert – El Nemr, Korczanowski, Keunemann, Labiadh, Lange Zuschauer: 200
„Nö“, antwortete Barmbeks Trainer Frank Pieper nach dem Spiel erfreut. Heute habe er nichts zu bemängeln. Denn: „Wenn du bei einer der heimstärksten Mannschaften der Oberliga 5:2 gewinnst und dann anfangen würdest zu nörgeln, wäre das, als wenn Steffi Graf in 30 Minuten beide Sätze 6:0 gewinnt, um dann zu sagen: Mein Aufschlag ist aber nicht gekommen.“ Ein starkes Bild. Doch wie konnte es dazu kommen, dass BU – heute von ungewöhnlich sanges- und hüpffreudigen Fans unterstützt – das Spiel auf dem Kunstrasen am Berner Heerweg so konzentriert anging wie das Finale der US Open? Und warum setzte Condor nichts dagegen?
Stop! "Nichts" stimmt nicht ganz. Die Gastgeber, mit Dreierkette und Dreiersturm angetreten, verkauften sich in den ersten 20 Minuten durchaus ansehnlich. Den ersten Break (Durchbruch) der gegnerischen Defensivreihe verbuchten sie nach einer sehr schönen Ballstaffette, die Ibrahim Özalp auf Pass von Carlos Flores frei vor Andre Tholen aus 14 Metern halbrechts wuchtig abschloss. Leider halbhoch aus Sicht der Raubvögel, Tholen beschützte die bedrohte Ecke mit einem schönen Becker-Hecht (20.).
Unmittelbar im Anschluss begann jedoch das, was in diesem Artikel „der große Einbruch“ genannt wird. Condors Trainer Christian Woike sah das zwar anders, indem er auf „die vielen langen Bälle von BU und unsere Schlafmützigkeit in der Verteidigung verwies“, allerdings „den großen Einbruch“ nicht gesehen haben wollte. „Schließlich“, so Woike, „sind die langen Bälle ein einfaches Mittel, eigentlich am leichtesten zu verteidigen“. Meine Wenigkeit empfand Condor in Hälfte eins von Minute zu Minute nicht nur schwächer, sondern auch spielerisch unterlegen. Das zeigte sich schon beim 0:1. Dem ging zwar ein langer Ball voraus, doch am Sechzehner folgte eine blitzsaubere Kombination, weil Condor BU einfach nicht viel mehr als Geleitschutz gab. Lasse Keunemann (überraschend für Ivan Sa Borges Dju in der Startelf) bediente per Querpass Janis Korczanowski, der in die Tiefe auf Mohamed Labiadh weiterleitete. „Mo“ spitzelte den Ball gekonnt aus elf Metern in die linke Ecke. Es hieß 0:1 (21.). Und drei Minuten später gar 0:2. Durch ein Tor ohne spielerische, dafür mit einer Slapstick-Komponente. Korczanowski stand am Sechzehner im Abseits, Condors Torwart Sascha Kleinschmidt wollte schnell ausführen und spielte Keunemann den Ball überhastet halbhoch direkt in den Fuß. Der nur kurz verduzte Schlaks nahm die Pille an wie einen verunglückten Stopball und schob seelenruhig ein – 0:2 (24.).
Nun drehte Barmbek richtig auf. Marc Henry Lange schickte den an alter Wirkungsstätte überragenden Pascal El Nemr, Kleinschmidt ließ seinen Schuss von der Strafraumkante klatschen und Alexander Krohn rettete in letzter Sekunde vor Labiadh (33.). Keunemann (35. nach unglaublichem Fehler von Kevin Mellmann an der Seitenlinie) und Sebastian Clausen vergaben weitere Möglichkeiten (37.). Doch Condor lud die Gäste in etwa gleicher Intensität ein, als hätten ihre damaligen Gegnerinnen der guten Steffi immer Bälle ins Halbfeld auf ihre Vorhand gespielt. Kurz vor dem Pausenpfiff schlug Clausen einen Karo-Einfach-Pass über 60 Meter auf Korczanowski, der völlig alleine auf Kleinschmidt zulief. Der Ball tickte auf, Kleinschmidt rannte erst raus, trabte wieder zurück – und Korczanowski tat das einzig Richtige. Mit einem wunderbaren Lob überlupfte er Condors heute indisponierten Keeper zum 0:3 (45.).
Zweite Halbzeit, selbes Bild! Condor ab und an mal gefällig, ohne jede Durchschlagskraft, in den Zweikämpfen klar unterlegen, BU abgebrüht und seiner selbst absolut sicher. Keunemann erst mit einem Abseitstor (50.), dann erfreuter Zuschauer bei der technischen Abgezocktheit seiner Kollegen. Christian Merkle spielte den Ball wie beim Tennis „durch den Mann“, in dem Fall durch die Beine des bedauernswerten Julian Künkel, spurtete die Linie runter und bediente – na, wen wohl? – Korczanowski in der Mitte. Der stürmte zur Kugel, als müsse er den Matchball in einem Grandslam-Turnier verwandeln und schob zum 0:4 (52.) ein. Das 0:5 lag danach in der Luft, sozusagen der erste Satzgewinn, doch Labiadh drosch erst vorbei (64.) und wurde danach bei einer weiteren Szene knapp vor dem Tor im letzten Moment von Krohn geblockt (73.).
Nun allerdings erinnerte sich Condor endlich daran, dass hier Fußball und kein Tennis gespielt wurde. „Mindestens achtmal haben wir den letzten Ball nicht durchgekriegt“, haderte Woike hinterher mit dem berühmten letzten Pass. Jetzt gelang wenigstens etwas Ergebniskosmetik für die durch die Gegentorflut geplagte Seele. Eine Mellmann-Ecke rutschte zu Flores durch, der den Ball gefrustet aus fünf Metern per Vollspann zum 1:4 ins Netz jagte (77.). BU schlug sofort zurück. El Nemr setzte Jon-Jesper Hoeft in Szene, Kleinschmidt entschied sich zu einem sinnlosen 30-Meter-Ausflug und Hoeft legte den Ball an ihm vorbei, um ihn dann genüsslich im leeren Tor unterzubringen (80.). Stefan Klaes konterte noch einmal aus 20 Metern auf Vorlage von Ibrahim Özalp (83.) zum 2:5 – aber das war es dann auch.
10:3-Chancen für die Gäste, durchaus einige lange Bälle, aber auch viele sehenswerte Kombinationen mit technischer Finesse, gutem Tempo und hoher Effektivität ließen Pieper die „taktische, technische und spielerische Leistung“ seines Teams loben. BU glich Steffi Graf also heute durchaus in einigen Facetten. Die gute alte Grande Dame des Tennis war ja immer dann voll da, wenn es so richtig drauf ankam. Und sie verstand sich auf Kantersiege. Die Kombination der nächsten beiden Spiele (daheim gegen Victoria, in Lurup) könnte für Piepers Team also gar nicht besser sein. Auf Condor hingegen werden vermutlich vor allem am letzten Spieltag in Meiendorf noch einmal alle Augen gerichtet sein. Mal sehen, vielleicht gelingt ja spätestens dort der passende Return zum heutigen Auftritt.
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