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26.09.2016
Rückblick: Sachertorte und Mozartkugeln von Mirko Schneider



Dieser Tage blickt die Welt nach Wien. Tut sie das? Okay, eigentlich nicht. Ich blicke nach Wien. Ein Kurzurlaub in der zweitschönsten Stadt der Welt (damit in meiner Rangliste circa 12.000 Ränge vor München, sorry hochgeschätzter Kollege Marius) steht bevor. War schon oft da – und ständig haben meine Gastgeber Geschichten vom Hamburger Amateurfußball hören wollen. Die Wiener, so schien es mir beim leidenschaftlichen Erzählen, sind fasziniert von Namen wie Altona 93, HSV Barmbek-Uhlenhorst oder Buxtehuder SV. Und schaut man genauer hin, so ergeben sich eine ganze Menge Verbindungen zwischen der aus der Zeit gefallenen Metropole mit den „lauschigen Gasserln“, die 1995 als prächtige Kulisse für Julie Delpy und Ethan Hawke diente, die in „Before Sunrise“ unter der Regie von Richard Linklater die schönste Liebesszene aller Zeiten drehten. https://www.youtube.com/watch?v=nQpYHiB0k6k drehten.

So sieht der Wiener auch gerne Rot. Rot ist die Liebe, Rot ist der Wein im „Glaserl“ und Alarmstufe Rot herrscht, wenn irgendjemand irgendetwas verändern will. „Ich brauch` kein Wasser in der Wohnung, lieber bleiben wir schön beim Alten“, sang schon der geniale Georg Kreisler in einer formidablen Satire auf seine Stadtgenossen. Das trifft zumindest teilweise für Osdorf zu. Der heimische Kunstrasen ist noch nicht so alt, der Blomkamp schon. Dort werden die Punkte gemacht. Gegen die SV Halstenbek-Rellingen, in dieser Saison bisher die fußballerische Verkörperung der berühmten Wiener Melancholie, gelang mit einem 3:2 http://radiohamburg.fussifreunde.de/artikel/pattex-wachter-und-dreier-hencke/ der zweite Heimsieg in Folge.

Etwas überraschend hingegen siegte der HSV Barmbek-Uhlenhorst mit 3:0 daheim gegen Klub Kosova. Schließlich sind die Gäste zwar keine Auswärtsspezialisten, aber die Fähigkeiten mancher ihrer Kicker auf Kunstrasen erinnern an den legendären „Papierenen“ Matthias Sindelar https://de.wikipedia.org/wiki/Matthias_Sindelar (nein, liebe Kosova-Spieler, den gibt es auf keiner Playstation!)
Doch an der Dieselstraße behielt das Team seine Spielkünste weitgehend für sich. Zu allem Überfluss lag Trainer Thorsten Beyer krank im Bett und Torwart Sebastian Menzel musste mit einer Roten Karte vorzeitig duschen gehen. Aus sicherer Quelle erfuhr HAFO, das Menzel selber zugab, „man kann diese Karte geben“. Also Respekt an den Schiedsrichter von dieser Stelle (auf das Thema kommen wir dann später noch mal zu sprechen).

Tags darauf, am schönen Sonnabend, siegte Dassendorf mit 3:1 gegen den SC Victoria http://www.hafo.de/news/fullnews.php?id=5948 Echt wienerisch lieferte das Spiel des Hattrick-Titelträgers gleich zwei Querverweise zum Thema dieses Rückblicks. Zum einen war mit Diamantis Cholevas, seines Zeichens Trainer Concordias, ein „Spion“ auf der Anlage. Wie man erfolgreich spioniert, hat der teils zu Unrecht als Trivialschriftsteller verspottete Wiener Schriftsteller Johannes Mario Simmel in seinen Romanen detailliert (und, ja, kitschig!), beschrieben. http://www.spiegel.de/kultur/literatur/johannes-mario-simmel-gestorben-ein-moralist-nicht-nur-als-autor-a-599229.html Am 22. Oktober bei Cordis Gastauftritt in Dassendorf sehen wir dann, ob Cholevas Simmel-Kenner ist. Schlimmer für „Dasse“ war bei diesem Spiel allerdings die Bankenpleite. Damit haben sie im Nachbarland auch Erfahrung http://www.handelsblatt.com/unternehmen/banken-versicherungen/hypo-alpe-adria-oesterreich-scheut-die-bankenpleite-/9584404.html ,wenngleich sich der Fall dort sicher komplizierter gestaltet als am Wendelweg. Dort nämlich durften die „fünf Tonnen wiegenden“ (Medienbetreuer Alexander Knull) Auswechselbänke vorläufig auf dem Rasen stehen bleiben trotz Veto des städtischen Platzwartes. So wie unser Finanzsystem ja auch nicht zusammenbricht, obwohl alle den armen Mario Draghi kritisieren…

Okay, der Vergleich war schief, passender für die Begegnung Buxtehuder SV – SC Condor erscheint da schon das Bild vom „kollektiven Freizeitpark“, einst geprägt von Helmut Kohl, den Wien ja auch zu bieten hat: den Prater nämlich, auf dem sich die Einheimischen nun wieder vergnügen https://www.wien.info/de/sightseeing/prater Buxtehude ist momentan allerdings Dauergast in der Geisterbahn. Das 1:2 lässt die Träume vom Klassenerhalt langsam schwinden, während die „Raubvögel“ alle Teams schlagen, solange es keine Spitzenteams sind. So ungefähr wie der Prater-Besucher, der 80 Prozent aller Attraktionen genießt, vom ganz großen Höhenflug aber absieht. Condor bucht bisher einfach nicht die Adrenalin-Tour http://www.praterwien.com/attraktionen/tourdetails/t/adrenalin-tour/ Macht aber nix, wer alle „Kleinen“ sportlich vernichtet und selber ganz schön groß ist, kann auch Meister werden!

Eher weniger Titelkandidat ist Buchholz 08, trotz eines wieder einmal überragenden Arne Gillich beim 3:0 gegen Süderelbe. Der Wiener Vorliebe für Tradition (gibt es nicht nur in München, hatte ich schon mal erwähnt, dass Wien viel toller ist als München? Falls nicht, Wien ist viel toller als München!) huldigte er mit dem 150. Treffer für seine Farben. Und Gillich verschoss bei Nummer 151 laut eigener augenzwinkernder Aussage absichtlich einen Elfer, damit ihm sein Mitspieler Niklas Jonas für einen zweiten Versuch auflegen konnte. Ein Schlitzohr, der Gillich, quasi der Toni Polster vom Seppenser Mühlenweg. https://de.wikipedia.org/wiki/Toni_Polster Vielleicht steht Süderelbe auch unten drin, weil sie so einen nicht haben?

Dass Marcel Kindler hingegen kein Österreicher ist, ist wirklich schade. In der näheren Vergangenheit ist HAFO nämlich kein überragender Keeper im Austria-Dress bekannt. Hätte Kindler Wiener Schmäh, wäre vielleicht eine Karriere als Nationalkeeper drin gewesen. So aber pariert der in seinen seltenen Interviews supersympathische 34-Jährige, der sich auf den Platz in einen anderen Menschen voller Ehrgeiz und Lautstärke verwandelt, weiter beim Niendorfer TSV. Am Wochenende sogar einen Elfmeter von Eric Agyemang beim 2:2 in Wedel. Da freut man sich am Sachsenweg und ärgert sich dementsprechend beim WTSV. Wie bei der allweihnachtlichen Aufführung der Sisi-Filme (die wurde übrigens wirklich „Sisi“ genannt, nicht (!) Sissi, ihr komischen TV-Programmzeitschriften-Redakteure) gibt es nun seit einiger Zeit viel Herzschmerz und wenig wirklich Erhellendes von den Grünen zu sehen. Wird Zeit, dass nach tollem Saisonstart mal wieder ein Dreier eingefahren wird.

Den schaffte dafür der VfL Pinneberg gegen Curslack-Neuengamme. 3:0 und drei Punkte. So langsam kommt der VfL ein bisschen in Fahrt, so wie Kaiser Franz bei der Ausgestaltung seines „Historyland“ http://www.habsburger.net/de/kapitel/franz-iii-persoenlichkeit-und-vorlieben (siehe viertletzter Absatz), während Curslack wohl eher so gekickt hat, als habe sich das Team vorher mit Mozartkugeln und Sachertorte vollgestopft.

Topfit präsentierte sich dagegen Altona 93. Aus 1:2 und 2:3 mach` 4:3. Respekt! Und diese Schlussphase mit Treffern in den Minuten 78. und 81. erinnert auf alle Fälle an die legendäre „Rapid-Viertelstunde“ http://www.11freunde.de/artikel/der-rapid-viertelstunde-auf-der-spur 731 Fans waren mal wieder an der Adolf-Jäger-Kampfbahn. Den Radid-Brauch in typischer Altona-Manier modifiziert zu übernehmen (einer im Fanblock schreit „Jeeeeeeeeeeeeeeetzt“ und dann kommt das Lied vom Jedi-Ritter sagen wir fünf Minuten lang) wäre doch eine geile Idee. Dann ist die Mannschaft bald nicht mehr aufzuhalten und wird doch noch Meister. Trainer Berkan Algans Plan, die Champions-League im Jahr 2024 zu erreichen, wäre so auch immer noch drin. Coach Ralf Palapies beim SV Rugenbergen muss derweil mit seinem Team den Sturz in die Landesliga fürchten, wenn auswärts schon drei Tore nicht mal reichen, um einen Punkt mitzunehmen. Aber er wollte ja eh bald mal Urlaub machen, damit wieder Punkte aufs Konto kommen http://www.hafo.de/news/fullnews.php?id=5924 Pala`, wende dich vertrauensvoll an uns! In Wien können wir dir ein paar wunderschöne Kaffehäuser empfehlen!

Und nun, zum Abschluss kommen wir noch einmal auf das Thema Schiedsrichter zu sprechen. Der klassische Wiener reagiert, wenn er Schmarrn hört, folgendermaßen: aufrecht hinsetzen, überlegen gucken, eine Hand leicht anwinkeln, angedeutet abwertende Handbewegung, leicht ironischer Blick und dann sagt er „A geh…“. Alles, was danach kommt, hat kaum Bedeutung. Entscheidend ist: „A geh…“ Das heißt so viel wie: Das kannst du nicht ernst meinen! Genau diese Haltung wünschen wir hiermit Schiedsrichter Paul Jennerjahn vom TSC Wellingsbüttel, falls er sich noch Gedanken über die Kritik an seiner Leistung beim gestrigen Oberligaknaller zwischen dem FC Türkiye und Concordia macht. Beim 2:0, das Türkiye sich mit (zu) viel Kampf, zwei genialen Treffern von Tolga Tüter und einer Weltklassetorwartleistung von Tobias Braun verdiente, pfiff Jennerjahn nämlich sehr gut. Alle Platzverweise gegen Türkiye waren korrekt, ebenso der Verweis des nach dem Schlusspfiff wenig einsichtigen Trainers Erhan Albayrak ("Hätten wir hier Friede, Freude, Eierkuchen gespielt, hätten wir 5:0 verloren. Das war noch gesund und an der Grenze von uns.") von der Bank nach 25 Minuten für dessen fortgesetztes Reklamieren (mehrmals im Feld stehend, mit erheblicher Lautstärke und Aggressivität). Türkiye fühlte sich von Beginn an von einem Schiri verfolgt, der eine sehr hitzige Partie bis auf ganz wenige kleine Fehler stark leitete. Der sonst sehr sympathische Verein von der Landesgrenze sollte sich hinterfragen. Es gibt auch Grenzen für die Spielbeeinflussung von außen (ja, das gilt auch für die Kommentare von der Bank!). Diese wurden gestern leider überschritten. Trotzdem einen herzlichen HAFO-Glückwunsch, denn gespielt habt ihr super!

So, nun fahre ich in den Urlaub. Diesmal habe ich mir vorgenommen, bei einem „Verlängerten“ und einem leckeren Eis „mit Schlag“ meinen Gastgebern von Frank Piepers feiner Ironie, Torsten Henkes Fähigkeiten als Dauerbrenner-Coach und Felix Karchs (Trainer des HSV III) Offensivgeist zu erzählen („Lieber 6:4 als 1:0!“). Ich freue mich drauf. Bussi, liebe Leser!


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