19.03.2018 Rückblick: Die Windqualität des eiskalten Schlendrians von Folke Havekost
Die Oberliga baut Brücken. Mag hierzulande auch noch so sehr über die abnehmende Qualität und Wettbewerbsfähigkeit der „German Bundesliga“ schwadroniert werden, Hamburgs höchste Liga bleibt auf dem globalen Markt ein High-End-Produkt. Selbst aus dem Fußball-Mutterland reisen Konsumenten über die Nordsee, um eine Karte fürs Spitzenspiel zu ergattern: Der Engländer lässt alles stehn, will Dassendorfer Fußball sehn. Und so kam, nennen wir ihn John Doe, mit HSV-Kurzarmtrikot, Frau-Holle-Perücke und großem Bierdurst an die Hoheluft, um am kalten Freitagabend die Meisterprüfung beim SC Victoria zu verfolgen: Schließlich könnte Dassendorf schon im September 2019 als DFB-Pokal-Sieger in der Europa League auf Manchester United, Arsenal oder Fulham treffen. Auch wenn der Beobachter kurz vor dem Pausenpfiff das warme Clubhouse dem Geschehen auf dem Platz vorzog, wird er aus dem Gipfeltreffen eine Erkenntnis zurück auf die Insel genommen haben: Gemessen einzig an diesem Spiel, könnte die Premier League wohl mit der Oberliga Hamburg mithalten.
„Ich kann mich nicht erinnern, dass unsere Mannschaft fußballerisch mal so schlecht war“, lästerte Dassendorfs Trainer Peter Martens trotz des 1:0-Siegs seiner Elf durch einen frühen Treffer von Pascal Nägele. Die beinahe britischen Böen, die über den Heimplatz der nach einer britischen Königin benannten Hohelufter zog, veranlassten Martens dazu, von einer hohen „Windqualität“ zu sprechen. Gut beobachtet: Tatsächlich war in dieser Saison bislang nur der von Meteorologen so genannte „Saseler Sturm“ ein ähnlich hartnäckiger Gegner des Dassendorfer Spiels. Versöhnliches Resümee von Martens: „So ein dreckiges 1:0 nach so einer Leistung tut uns sicher gut“ ( http://www.hafo.de/news/fullnews.php?id=6193). Und lässt die Sachsenwalder gelassen nach Ottensen fahren, wo am Sonntag das nächste Spitzenspiel auf John Doe und Co. wartet:
Teutonia 05 empfängt den Tabellenführer – und präsentierte zuvor beim 2:1 gegen Vorwärts-Wacker Billstedt einen spielprägenden Neuzugang. Sein Künstlername: Schlendrian. Wie weiland Günter Netzer im DFB-Pokal-Finale 1973 wechselte sich der Neue in der 25. Minute selbst ein, ohne dass Trainer Sören Titze dafür etwas tun musst. Geschweige denn, es verhindern konnte. Titzes Elf lag gegen den Abstiegskandidaten schnell 2:0 vorne, ehe Schlendrian sich scheinbar ohne große Eile warmmachte und dann plötzlich auf dem Platz zu finden war. Weitgereiste Zuschauer wollten Teutonias neuen Spielmacher schon einmal beim mecklenburgischen Landesligisten Traktor Trägheitow gesehen haben, andere raunten sogar, es handele sich um einen ehemaligen Kicker des russischen Starensembles Neftyanik Nachlassigkeitisk. Wer immer er war: Mit seiner Einwechslung schirmte er etwaige Dassendorfer Spione von Erkenntnissen über Teutonias Stärken konsequent ab. Um die Strategie nicht zu auffällig zu gestalten, vergaben die 05er noch einige Torgelegenheiten, stellten das Fußballspiel sonst aber fast völlig ein. „Uns fehlten 15 Prozent Fokus im Kopf“, taxierte Titze. Mit ihrer 85-Prozent-Performance (manche Beobachter sprachen sogar von unglaublich niedrigen 76,7 Prozent) gestatteten die Ottenser dem Gast noch ein spätes Anschlusstor, was an den grundsätzlichen Verhältnissen aber nichts mehr änderte ( https://www.fussifreunde.de/artikel/knapper-teutonen-triumph-die-waren-eiskalt-wir-leider-nicht/).
Hinter den Teutonen hätte sich nun Niendorf auf Rang drei einreihen können – doch gegen Rugenbergen reichte es nur zu einem 1:1, weil die Mannschaft von Ali Farhadi erst zu viele „Schweinebälle“ (Stürmer Magnus Hartwig) nach vorne spielte, dann doch durch Ilyas Afsin glücklich in Führung ging, zehn Minuten vor Schluss aber den Freistoß-Ausgleich durch Dennis von Bastian kassierte. „Als Favorit muss man anders auftreten“, war Coach Ali Farhadi enttäuscht: „Wir haben ziemlich um den Ausgleich gebettelt“ ( http://www.hafo.de/news/fullnews.php?id=6196). Schon morgen kommt der FC Süderelbe zum Nachholtermin nach Niendorf. Die Süderelber präsentierten sich am Sonntagnachmittag viel besser als ihr nächster Gegner, holten aber einen Punkt weniger. „Das war unser bestes Auswärtsspiel seit Jahren. Wir hätten gewinnen müssen“, konnte Trainer Markus Walek das 0:2 bei Concordia kaum glauben. Doch während seine Schützlinge Chance auf Chance vergaben, hatten die Wandsbek-Jenfeld-Marienthaler mit Benjamin Bambur einen Knipser am Start. Mit seinen beiden Treffern entschied Bambur das „Spiel um Platz fünf“ für seine Farben. Sein erstes Tor fabrizierte der 27-Jährige aus heiterem Himmel – und brachte damit sogar die Concorden-Bank zum Lachen, die die eigene Führung angesichts der Süderelber Überlegenheit nicht anders fassen konnte als mit Humor ( https://www.abendblatt.de/hamburg/harburg/sport/article213756671/Nullnummer-zwischen-Buchholz-08-und-dem-HSV.html).
Zwei Tore schaffte am Wochenende neben Bambur nur Boris Shtarbev, der Türkiye-Trainer Michael Fischer eine erfolgreiche Heimpremiere bescherte. Wobei Heimpremiere ... die Wilhelmsburger zogen von ihrem maulwurfdurchpflügten Platz an der Landesgrenze auf den knapp drei Kilometer entfernten Kunstrasen an der Dratelnstraße um. Ihnen folgten gerade 21 Zuschauer, die im „Geisterspiel“ (Fischer) ein 4:1 gegen den Klassenerhaltskampfmitkonkurrenten VfL Pinneberg sahen – jenen Klub, den Fischer selbst zehneinhalb Jahre trainiert hatte. Sein VfL-Nachfolger Thorben Reibe ärgerte sich nach den null Zählern im Sechs-Punkte-Spiel: „Das Schlimmste ist, dass Türkiye gar nicht einmal gut gespielt, sondern nur von unseren Fehlern profitiert hat.“ Als Pinnebergs Torwart Norman Baese einen Elfmeter abgewehrt hatte, dankten seine Vorderleute ihm dies, indem sie Shtarbev bei der folgenden Ecke am langen Pfosten das 1:0 köpfen ließen – der Auftakt zur Pinneberger Pleite ( https://www.abendblatt.de/region/pinneberg/sport_137/article213757761/1-4-Pleite-in-Wilhelmsburg-Alarm-beim-VfL-Pinneberg.html).
Die „Raubvögel“ überholten den TuS Osdorf im direkten Duell durch einen 2:1-Auswärtssieg, obwohl Jeremy Wachter die Heimelf zunächst in Führung brachte ( https://www.fussifreunde.de/artikel/im-livestream-tus-osdorf-vs-sc-condor/). Ein Sieg nach Rückstand gelang auch Curslack-Neuengamme beim 3:1 über die in der Rückrunde recht müden Saseler. „Aktuell gehen wir auf dem Zahnfleisch“, stellte Trainer Danny Zankl fest. Die Energie des Aufsteigers langte aber immerhin noch, um eine Halbzeitansprache von Curslack-Coach Torsten Henke zu provozieren, von der nicht nur die zarten Vierländer Frühlingsblümchen durchgerüttelt wurden. „In der Kabine bin ich tatsächlich sehr laut geworden“, verriet Henke: „Ich war mit der nachlässigen Spielweise nicht einverstanden, das können wir uns nicht erlauben“ ( http://www.hafo.de/news/fullnews.php?id=6194).
Nicht nur nicht erlaubt, sondern geradezu verboten war bislang die weiße Weste in Wedel. Wer sich dort ohne Gegentor in der Öffentlichkeit blicken ließ, musste damit rechnen, kopfüber vom Wasserturm Möller gehängt zu werden oder gar eine Dauerkarte des FC Roland zu bekommen. Finstere Zeiten, doch sie gehen zum Glück zu Ende. Nach 31 Punktspielen mit immer mindestens einem Gegentor fanden sich elf mutige Kicker des Wedeler TSV, die mit der garstigen Tradition Schluss machten und 1:0 gegen Barmbek-Uhlenhorst gewannen. Weil Trainer Jörn Großkopf weiß, dass ein alter Brauch am besten durch einen neuen ersetzt wird, spendierte er seinen Bilderstürmern gleich eine Kiste Bier – zur Wiederholung beim nächsten Zu-Null seiner Elf ( https://www.fussifreunde.de/artikel/anspiel-agyemang-abschluss-eric-verfuegt-ueber-eine-riesige-effektivitaet/). Dass die Null nicht auch vorne stand, war Eric Agyemang geschuldet, den Ken Loach 2009 bei seinem Film „Looking for Eric“ sicher im Sinn hatte. Diesen Streifen hat unser John Doe von der Hoheluft bestimmt auch gesehen. Wir hoffen inständig, dass er am Freitagabend im warmen Victoria-Klubheim nicht durch die Bundesliga-Beobachtung im Fernsehen von weiteren Besuchen abgeschreckt wurde.
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