03.03.2019 Primus schlägt Patienten von Andreas Killat
von Jan Schubert
vs.
TuS Osdorf – Altona 93 1:3 (1:0)
TuS Osdorf: N. Schmidt – Körner, Wesling, Jobmann, Feigenspan (84. T. Krause) – B. Krause, R. Schmidt – Weiß, M. Eren (84. Ude), Hüttner – Wachter Altona 93: Grubba – Safo-Mensah, Atug, Yilmaz – Monteiro, Wachowski, Boock, Siebert (84. Saglam) – Metidji, M. Schultz (67. Kunter) – Vojtenko (89. Tüter) Tore: 1:0 Wachter (39.), 1:1 Vojtenko (52.), 1:2 Atug (79.), 1:3 Wachowski (82.) Schiedsrichter:Björn Krüger (SV Börnsen): Souveräner und nie überforderter Referee beim durchaus hohen Spieltempo. Für Gefallen im Publikum sorgte, mit welcher Inbrunst er in seiner Gestik noch rollende Bälle vor Freistößen anzeigte und richtigerweise zurückpfiff. Beste Spieler: R. Schmidt, M. Eren, Wachter – Siebert, Schultz, Vojtenko Zuschauer: 685
So oder zumindest so ähnlich soll es sich wenige Stunden vor diesem Derby zugetragen haben: Bei Osdorf-Coach Peter Wiehle klingelt das Mobiltelefon. „Trainer, wie planst du denn heute mit mir?“, fragt eine hörbar leidende und geschwächt klingende Stimme. Es ist die von Mehmet Eren, einem der ganz wichtigen Bestandteile der TuS, vielleicht der technisch versierteste Akteur im Team. Doch der 29-Jährige fühlt sich kurz vor dem Klingenkreuzen mit dem Lokalrivalen Altona 93 nicht gut, spürt Anzeichen einer sich anbahnenden Magen-Darm-Grippe. Für Wiehle ist die Angelegenheit klar: „Na, du spielst von Anfang an.“ Eren: „Okay, dann leg‘ ich mich nochmal zwei Stunden hin.“
Wer am Abend dann die Osdorfer 1:3-Niederlage gegen den turmhohen Favoriten und Nachbarn miterlebt, der mag kaum glauben, dass Osdorfs Nummer 17 gehandicapt in die Partie geht. Eren beginnt tatsächlich, genau wie Prince Hüttner und Jeremy Wachter. Das Trio fehlte krankheitsbedingt die gesamte Trainingswoche bis auf Hüttner, der einmal mitüben konnte. Damit nicht genug: Die Gastgeber mussten auf zehn verletzte, kranke oder angeschlagene Akteure verzichten, unter anderem Keeper Claus Hencke und die komplette Links-Fraktion mit Felix Schlumbohm und Felix Spranger. Der Patient aus Osdorf am Krückstock? Nicht so ganz: „Dafür hat man ja einen breiten Kader“, sagt Piet Wiehle, „es können sich jetzt diejenigen zeigen, die hinten dran sind.“
Und das tun die aufrechten Kranken vom Blomkamp auch über lange Zeit – obwohl der AFC eine Jürgen-Klinsmann-Gedächtnisstartphase wie zu seiner wenig ruhmhaften Zeit als Bayern-Coach hinknallt, in der ersten Viertelstunde mindestens fünfmal auf dem Chancenzettel auftaucht – doch ähnlich wie Klinsis damaliges Team kommt dabei nichts Zählbares zustande. Beispielsweise checkt Niklas Siebert mal die Skills von Hencke-Vertreter Nick Schmidt ab (4.), verfehlt Alexander Vojtenko das Ziel nur knapp (5.), bevor ein langer Siebert-Einwurf sogar den Weg an die Latte findet (11.). Wissen die Gäste etwa, dass manch Osdorfer körperlich lädiert ist?
„Wir müssen zur Halbzeit 2:0 führen“, meint AFC-Trainer Berkan Algan, „doch dann fangen wir uns so ein Slapstick-Tor ein.“ Slapstick? Eigentlich eher was Feines: Osdorf überlebt den Anfangsdruck, meldet sich mit einer Großchance von Robin Schmidt im Spiel an (18.) und schlägt filigran beim Führungstreffer zu. Eren schlägt aus halblinker Position seinen Freistoß flach durch die Altonaer Mauer in den Fünf-Meter-Raum, Tim Jobmann mit der Hacke auf Jeremy Wachter – 1:0 (39.).
Upps: Schnappatmung, Bluthochdruck oder Herzrasen auf der Bank des Ligaprimus? Das Altonaer Spiel kränkelt so vor sich hin. Bis der ebenfalls noch nicht im Vollbesitz seiner Kräfte spielende Kapitano einen Energieschub bekommt: Marco Schultz dribbelt, bedient Hischem Metidji, der die Kugel in den Fünfer chippt und wiederum Schultz per Hacke auf den treffsicheren Kopf von Alexander Vojtenko zum 1:1 auflegt (52.). Das genügt dem Tabellenführer natürlich nicht, der sich aber gegen das Osdorfer Lazarett bis zur Endphase abmüht.
Es braucht einen Konzentrationsfehler (wegen ausgehender Kraft?) in der letzten Reihe der Hausherren, den Seyhmus Atug bestraft (79). und einen Sololauf von William Wachowski 82.) zum Triumph. Verwunderlich, dass Osdorf erst in der 84. Minute zum ersten Mal wechselt, unter anderem der ermattete Eren das Feld verlässt. Die Begründung passt zum gegenwärtigen Osdorfer Dilemma: „Diejenigen, die reingekommen sind, haben auch die ganze Woche nicht trainiert“, erklärt Wiehle.
Totaler Zusammenbruch deswegen beim Underdog? Keineswegs: „Zunächst hat Mehmet Eren beim Stande von 1:2 die Ausgleichchance“, beobachtete Piet zutreffenderweise, „und nach dem 1:3 klären die gefühlt noch dreimal auf der Linie, außerdem haben wir noch den Lattenkopfball von Antonio Ude.“ Altona gewinnt das Derby. Schon gerecht, aber auch glücklich. „Osdorf hat es richtig gut, aber wir eben besser gemacht“, meint Algan, „ich bin stolz auf meine Spieler. Sie haben jetzt das Wochenende frei. Leider, denn ich hätte gern mit ihnen trainiert. “
Und auf der anderen Seite? Der Patient, er lebt und siecht nicht dahin. Wiehle: „Schmerzen wegen der Niederlage habe ich nicht. Wir haben ein Riesenspiel gemacht, und unterm Strich würde ich sagen, dass die bessere Mannschaft verloren hat. “ Derart geschwächt sein und dann so erbarmungslos drauf loskicken, das möchten andere Kerngesunde wohl auch ganz gern.
Statistik: Punktspielstatistik aus Sicht des Gastgebers (seit 1945): 4 Spiele, 1 Sieg, 0 Remis, 3 Niederlagen, 4:7 Tore
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