07.04.2019 Zu verspielt, zu verkopft: Condors Absturz geht weiter von Andreas Killat
von Jan Schubert
vs.
SC Condor – Meiendorfer SV 2:5 (0:3)
SC Condor: Richter – Dornick, Klammer, Niederstadt, M. Cholevas – Facklam (82. Löw), Daudert (71. Grablewski), – Bulut, Ilic, Lahmann-Lammert – Schwoy (75. Sousa) Meiendorfer SV: Alberti – Rosseburg, Tatsis (60. Kayahan), Hoffmann, Asante – Schön, Herrdum, Hoti (64. Sara), Vareila Monteiro (82. Koura) – Heitbrock, Blum Tore: 0:1 Asante (30.), 0:2 Blum (33.), 0:3 Schön (42.), 1:3 Ilic (56.), 1:4/1:5 Koura (84./86.), 2:5 Sousa (87.) Schiedsrichter: Patrick Petersen-Lund (TuS Hartenholm): Ließ das flotte Spielchen hübsch laufen, hätte aber zwingend Dren Hoti früher verwarnen müssen, vielleicht auch Özgür Bulut. Der Meiendorfer wandelte am Rande des Platzverweises und wurde gerade noch rechtzeitig ausgetauscht. Beste Spieler: Ilic, Bulut – Schön, Blum, Hoffmann Zuschauer: 183
Manchmal greifen Fußballtrainer in besonderen Spielen zu besonderen Ideen. Zumeist passiert das in den sogenannten (doch bisher rechnerisch nie nachgewiesenen) Sechs-Punkten-Spielen, um den Gegner zu überraschen. Ein Nachbarschaftsderby fällt gewiss in die Kategorie „Besondere Partien“. Und zu diesem Anlass holte Condor-Coach Florian Neumann ein altes Gewehr aus dem Waffenschrank, um es in vorderster Reihe einzusetzen. Neumanns Kollege Baris Saglam wiederum konterte mit einem Geistesblitz aus einem Freundschaftsspiel aus der Saison 15/16.
Damals war der MSV bei TuRa Harksheide angetreten, und Saglam staunte seinerzeit nicht schlecht über die Aufstellung des Gegners: „Nanu, was treibt der denn da vorn?“ Abwehrkante Kevin Heitbrock, dessen Muskelpakete soeben noch in den aktuellen Meiendorfer Dress passen, war bei TuRa als Angreifer aufgelaufen. „Der spielte auf dieser Position damals nur eine Halbzeit, die war dafür aber richtig gut. Er hat auch einen Pferdeschuss, seine Vorstöße sind bekannt“, weiß Saglam und beorderte den mittlerweile an die B75 gewechselten 26-Jährigen ins Sturmzentrum. Obwohl Heitbrock beim 5:2-Sieg des MSV an keinem Treffer direkt beteiligt war, funktionierte Saglams Idee deutlich besser als die von Neumann.
Denn manchmal haben besondere Spieler auch besondere Ideen während eines Spiels, wollen Tore am liebsten besonders hübsch verpacken, mit Schleifchen drauf und so. Und da wären wir bei Neumanns Einfall, Markus Schwoy (38) aus der Alten Herren direkt in Condors Spitze zu nominieren. Dass der „alte Mann“ immer noch gut kicken kann, spielerische Klasse und Ruhe reinbringt, keine Frage – aber diese Mal wäre Entschlossenheit gefragt gewesen. Entschlossenheit vor des Gegners Viereck.
Stattdessen war das, was die Gastgeber offensiv vortrugen, bisweilen einfach zu „condor“, um es mal leicht gehässig zu formulieren. Sie brauchen ein Beispiel? Etwa, als Aushilfs-Neuner Schwoy frei vor Gäste-Goalie Briant Alberti unbedingt noch Nebenmann Damian Ilic einsetzen wollte, MSV-Verteidiger Marcel Hoffmann aber erstklassig das sichere Tor verhinderte (29.). Oder Özgur Bulut, der ebenfalls verheißungsvoll vor Alberti auftauchte, statt Torschuss aber den Querpass auf Schwoy wählte, dabei aber nicht mit den Defensivqualitäten eines Alexandros Tatsis rechnete (40.). Oder Dennis Facklam, der auf dem Elfmeterpunkt lieber noch einen Schlenker einstreute statt eine Brandfackel loszulassen (47.).
„Bei einem 2:5-Endstand kannst du nicht sagen, dass wir besser waren, aber: Wir müssen zur Pause 2:0 führen“, klagt Condors Übungsleiter. Doch sie ahnen es, dass es anders kam: Weil Condor leider condor-like spielte, zeigte Meiendorf dem Rivalen Effektivität und Gnadenlosigkeit. Kofi Asantes Fernschuss in den Knick mit der leichten Draw-Flugkurve, also einer gesteuerten Linkskurve, war bildschön (30.), die Abschlussstärke beim 0:2 von Andrej Blum, laut Ex-SCC-Trainer Christian Woike der Prototyp eines „One-Contact-Forward“, ist berüchtigt (33.). Als wäre das alles nicht schon deprimierend genug, spurtete Lawrence Schön beim dritten MSV-Streich einfach mal erfolgreich durch (42.).
Doch das besondere Comeback in einem besonderen Match war nicht allzu weit entfernt: Nachdem endlich Ilic Condor auf die Anzeigetafel gebracht hatte (56.), waren die Gastgeber dran – bis Baris Saglam den nächsten besonders starken Einfall hatte: Joker Kalif Koura, noch so‘n Hirte im schwarz-gelben Kostüm, bekam acht Minuten Spielzeit, brauchte aber nur zwei Abschlüsse in drei Minuten (84., 86.), um Meiendorfs neunten Saisonsieg einzuschweißen.
Was aber bleibt für die Geschlagenen? Sind die noch zu retten? Welche besondere Idee existiert noch? „Ich stecke nicht den Kopf in den Sand“, sagt Florian Neumann, der wenigstens noch das zweite Tor durch Adrian Sousa notieren durfte (87.) und noch eine schöne Wortkreation parat hat, „aber das wäre heute eine Art Masterpoint im Abstiegskampf gewesen.“
Jetzt braucht es am Berner Heerweg eher einen Masterplan, einen Neustart, einen Relaunch. Wie es möglicherweise schnell zurückgehen könnte, warum eingeschränkte finanzielle Mittel kein Wettbewerbsnachteil sein müssen, wenn kreative Lösungen gefunden werden, das hat der Meiendorfer SV nach zweijähriger Abstinenz mit seiner respektablen Rückkehr ins Hamburger Oberhaus vorgemacht. Baris Saglam: „Wir haben kein Mitleid, aber Respekt für Condor. Schließlich haben wir diese Erfahrung auch machen müssen. Und wenn sie absteigen sollten, kommen sie vielleicht wie wir nach zwei Jahren stärker zurück.“
Statistik: Gesamt-Punktspiel-Bilanz aus Sicht des Gastgebers (seit 1956): 72 Spiele: 32 Siege, 11 Remis, 29 Niederlagen, 116:123 Tore
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