29.03.2020 Achtung Glosse: Mein letztes Geld geb ich für Fußball aus von Stefan Knauß
Die Glosse am Wochenende zum Hamburger Amateur-Fußball.
Da bin ich wieder. Wie die meisten anderen Schreiberlinge melde ich mich aus dem trockenen, geschützten Home Office (der Medienkonzern hafo.de bietet eh keine anderen Optionen!). Zumindest muss ich keine Programmtipps für Kindersendungen oder Katzenbaby-Dokus verfassen. Und nach wie vor gilt: ich habe keine Ahnung von Fußball, bin gehässig, mäkelnd, nörgelnd, übergewichtig und kritisiere ausschließlich negativ!
Richtig, die allgemeine Lage ist seit dem 19.03.2020 noch schlimmer geworden, sogar sehr, sehr ernst! Und es wird noch besorgniserregender! Ist mir vollkommen klar! Mittlerweile hocken sich entnervte Hausfrauen zum Sitzstreik auf die Laufbänder vor der Kasse, weil sie nur zwei Packungen Toilettenpapier kaufen dürfen. Und sogar Trainer treten (auch deshalb?) entnervt zurück. Hamsterkäufe gibt es ohne Ende. Regale mit Toilettenpapier bleiben leer! Und mein alter Freund Okan wirkt ratloser denn je „Wallah, Brudi, isch kauf immer noch keine Hamster! Was soll isch damit?“ Recht hat er! Wir brauchen sogar in dieser Phase weder Hamster noch Klopapier. Dafür weiterhin viel mehr Geduld, noch mehr Ruhe und endlich mehr Vertrauen.
Geht es Ihnen dabei gelegentlich auch so? Mittlerweile erhält man derart viele Informationen über den Virus, detailliert, ausführlichst und wissenschaftlich, so dass man sich gedanklich bereits auf eine Karriere als Virologe vorbereitet. Und Begriffe wie Herdenimmunität, Primärfall, Latenzzeit, Covid 19, Manifestationsindex, Quarantäne etc. ersetzen neuerdings den täglichen Sprachgebrauch, wo vorher noch Bezeichnungen wie „Digger, Alter, krass, auf deinen Nacken, seriös spielen, Sandwich bilden, Kreide fressen“ usw. hin und wieder sogar ganze Sätze in irgendeiner Form ergaben.
Jedenfalls. Kurz nach Veröffentlichung meiner Betrachtung der Teutonia-Titze-Entlassung am vergangenen Donnerstag erschütterte das nächste Trainer-Beben die Hamburger Oberliga nachhaltig. Der erfolgreiche Trainer des ruhmreichen HSV Barmbek-Uhlenhorst e.V., der Marco Stier, gab seinen Rücktritt zum Saisonende bekannt und packte bei den Kollegen von fussifreunde.de exklusiv aus.
Wann ist eigentlich dieses Saisonende? Zuvor war in dem genannten als ebenso in anderen Medien zu lesen, dass Stier die Vize-Meisterschaft für sich und sein Team fest einplante (u.a. RegionalSport HH/SH Ausgabe 11, 19.03.2020). Glorreiche, ehrenwerte und lohnenswerte Ziele also! Zweiter werden ist immer klasse! Besser als Dritter oder Vierter! Eine Reaktion des amtierenden Tabellen-Zweiten oder dessen neuen Trainers Achim Hollerieth sucht man dazu bislang vergeblich. Wahrscheinlich steckt den FC Teutonia 05 Verantwortlichen immer noch der Schreck angesichts dieser Ansage in den Gliedern! Aber wie gesagt. Am gleichen Tag verkündete Stier seinen Rücktritt zum Saisonende. Analog zu dieser erschütternden Erklärung nahmen bundesweit die Hamsterkäufe zu, Klopapier wurde zur Ersatzwährung und Menschen wandten sich beeindruckt ab. Eine Folge des Rücktritts?
Zwischendurch eingeschoben. Kennen Sie diesen Verein aus der Oberliga Hamburg und seinen scheidenden Trainer Stier eigentlich? Wie war und ist denn der HSV BU so? Na auf alle Fälle ziemlich kultig, ein Verein mit viel Tradition, erfolgreich, musikalisch, seriös geführt, unterstützt von richtig tollen Fans und sogar auch kulinarisch ein Gaumenschmaus, ein Genuss! Traditionsbeispiel gefällig? Am 30.11.1974 (rund zehn Jahre vor des Trainers Geburt) sang Tony in der ZDF Hitparade „Mein letztes Geld geb ich für Blumen aus!“. Ein Jahr später widmete der Teufelskerl den Song für den damals ziemlich klammen Club um. Zusammen mit weiteren Stars sang er auf einer Benefiz-LP (Schallplatte) den legendären „Barmbek-Uhlenhorst-Schlager“. Dieser Song läuft seit langem vor jedem Heimspiel. „Mein letztes Geld geb ich für Fußball aus! Für Barmbek-Uhlenhorst, das ist mein Verein!“ Großartiges Liedgut!
Und überhaupt! Was für ein geiles, kleines und feines Stadion (würde wohl auch für eine Liga höher passen)! Fussi at its best! Kulinarisch? Diese Bratwürste (nicht die Spieler!)! Käsekrainer mit Jalapenos gibt es garantiert in keinem anderen Stadion bundesweit! Oder die leckere Gulaschsuppe, ein Traum! Gepaart mit häufig gutem Amateur-Fußball (in dieser Saison anfangs nicht immer). Seit 2018 unter der beispiellos erfolgreichen Führung des sehr emotionalen, hoch engagiertem Trainer Stier und seiner BU Herde (hoffentlich schon immunisiert!). Mit absoluter Ruhe zwischen den Trainerbänken (da darf man unerklärlicher weise nicht mehr stehen und keiner weiß warum). Fast immer ein Heiden-Spaß! Beispiellose Pressekonferenzen mit hohem Unterhaltungswert waren garantiert.
Ja Kruzifix! Und all das soll jetzt vorbei sein (die gastronomischen Angebote hoffentlich nicht, denn die würde man vermissen)? Warum? Weshalb? Weil der Trainer andeutete, er sei „zu erfolgreich gewesen“? Ergänzend skizzierte er vollkommen skandalöse Verhältnisse im täglichen Vereinsleben. So musste er (sogar mit seiner Familie) schmutzige Wäsche waschen (also die seiner Spieler meinte er wohl!) und auch die Kabinen reinigen. Unglaublich. Aber vielleicht war gerade das der Wendepunkt in einer schleppend beginnenden Saison? Denn die Gegner wurden nicht unbedingt immer in Grund und Boden gerammt. Der Saisonbeginn mit einem knappen 2:1 gegen den HSV III offenbarte nicht die Vize-Meisterschaft. Und das 3:3 Unentschieden beim HUFC am 16.08.2019 blieb mir nachhaltig in Erinnerung. Vor allem die PK nach dem Spiel, in der Stier gnadenlos wegen des vernichtend schlechten Unentschiedens auf einer Knüppelwiese im Halbdunkel gegen einen spielstarken hochmotivierten Gegner verbal auf seine Jungs eindrosch. Vielleicht auch ein Wendepunkt? Kaum zu glauben. Eher lag es an den neuerdings flauschig weichen, reinen Trikots. Motto: Hier wäscht der Trainer noch selber – Eben nicht nur sauber, sondern rein! Danach legten die Jungs endlich ein paar gute Spiele hin. Alles das Ergebnis von harter Arbeit und sauberer Wäsche!
Und wie war die Reaktion der scheinbar desinteressierten sowie nie anwesenden Vereinsführung auf die unglaublichen Vorwürfe? Auf die Vorwürfe mangelnder Gesprächsbereitschaft, auf die Vorwürfe mangelnder Finanzen, und fehlender Risikobereitschaft, auf die schmutzige Wäsche und den unglaublichen Erfolg von Trainer und Mannschaft? Sicherlich folgten zunächst und regelmäßig diese unbedeutenden Punkteprämien sowie die fest zugesagten kaum niedrigen Aufwandsentschädigungen! Schlimm! Ein Alptraum, wenn Vertragspartner ihre Zusagen einhalten. Aber mal seriös betrachtet. Ein Fall von klarer Wertschätzung! Der einzig wahren Wertschätzung, wie mir ein Kollege immer wieder predigte: „Digger, du kannst erst dann sagen, es war ein guter Monat, wenn du am Ende dein Geld auf dem Konto hast!“. Oder hat der Verein etwa nicht bezahlt? Kaum vorstellbar.
Ergänzend folgten öffentliche mediale Antworten. Anfangs sachlich, seriös, trocken, kurz und knapp. Und danach ausführlich. In etwa so, wie ein Sonderpädagoge zu seinem Sonderschüler. Dem der Sonderschüler zuvor mal wieder gefühlt mit dem „nackten Arsch ins Gesicht gesprungen ist“. Worauf der Sonderpädagoge sich freundlich, gelassen, nett und ausführlich bedankt: „das war wirklich ganz toll, klasse Aktion von Dir, Du hast Dich so schön geäußert, es war wirklich richtig aufregend mit dir und dafür bedanken wir uns (der Vorstand) alle sehr herzlich bei dir! Ja, wir sind echt betroffen, dass Du uns verlassen möchtest, denn eigentlich wird es ohne dich total schwer! Aber, wir wollen das mal ausprobieren. Eventuell klappt das!“ Echt anstrengend oder?
Finden sogar die kultigen Fans anstrengend, bzw. einige derer. Die finden es voll schade, dass der Trainer weg will. Dabei hat sich die Frage nach der Regionalliga wohl erübrigt. Denn wer weiß schon, ob auch ein noch so kultiger Club wie BU die jetzige Krise (also nicht die Trainer-Krise) übersteht. Ob die Finanzierung der Spieler gesichert oder eher gefährdet ist, wie in den allermeisten Vereinen Hamburgs? Oder ob je weitergespielt wird? Wann und wie? Ob Teutonias neuer Coach Achim Hollerieth nicht seine Super-Fitness-Kräfte nutzt und seine Jungs aus dem Home-Office ohne jedes Punktspiel zur Vize-Meisterschaft pusht? Ob Toilettenpapier bald wieder erhältlich ist?
Möglicherweise erklingt auch in Hamburg bald allabendlich die Rumänische Nationalhymne als Belohnung für die Disziplin der Bevölkerung aus den Lautsprechern der Polizei, so wie derzeit in Bukarest. Warum denn nicht? Wenn es schön ist und hilft, dann ist doch alles willkommen. Besser als der tägliche Podcast mit den Virologen. Bald ist Licht am Ende des Tunnels Und es ist nicht der auf uns zurasende ICE. Sondern die Hoffnung! Die Freude auf viele kommende spannende Fußballspiele, illustre Persönlichkeiten, weiche, reine Trikots für unsere Jungs, Käsekrainer mit Jalapenos und vieles mehr! Da bin ich optimistisch!
In diesem Sinne wünsche ich Marco Stier und vor allem BU nur das Beste! Zuletzt und überhaupt natürlich besonders Ihnen, liebe Hafo-Leser! Nehmen Sie Abstand, bleiben Sie besonnen, haben Sie Vertrauen, bleiben Sie uns gewogen, hamstern Sie kein Toilettenpapier und setzen Sie sich nicht auf die Laufbänder an den Supermarkt-Kassen! Stay at home, keep calm, dont panic and come back! Alles Gute!
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